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Der Kaefig - Roman

Der Kaefig - Roman

Titel: Der Kaefig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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weiß ich, dass er nicht länger als ein oder zwei Wimpernschläge dauerte.
    Ich sah Kemwese auf dem Rücken liegen und uns mit toten Augen anstarren. Das Fleisch seines nackten Körpers war grausam zerfetzt.
    Auf seiner Brust saß, mit den Armen bequem auf ihre angezogenen Knie gestützt, die Mumie, Amara, und blickte in unsere Richtung.
    Als säße sie auf einem Kissen.
    Ganz entspannt.
    Und wartete geduldig auf uns.
    DIE LEBENDE TOTE
    Erschreckend schnell sprang Amara von der Leiche.
    Maged schleuderte seine Taschenlampe auf das Monstrum. Sie traf den Kopf der Mumie und lenkte sie für einen Moment ab, als sie sich in dem wallenden roten Haar verfing. Wir stürmten aus der Grabkammer. Es gelang uns, die schwere Tür zuzudrücken, ehe die schreckliche Kreatur uns erreichen konnte.
    Trotz des Drucks von der anderen Seite schafften wir es mit vereinten Kräften, die Tür zuzuhalten. Amara verfügte über solche Kräfte, dass keiner von uns allein die Tür hätte halten können. Während wir unsere Schultern gegen den rauen Stein pressten, suchte ich in meinem Verstand nach einem Ausweg.
    Wenn wir einfach zum Seil rannten, würde Amara mit Sicherheit über uns herfallen, ehe wir uns in Sicherheit bringen konnten. Wenn einer von uns zurückblieb, um die Tür so lange wie möglich zuzuhalten, könnte es dem anderen gelingen, in die Freiheit zu klettern. Derjenige, der zurückblieb, wäre jedoch gezwungen, der Mumie allein gegenüberzutreten.
    Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur, dass sie tot war … und doch lebendig.
    Ich verspürte keinerlei Bedürfnis nach einem Schlagabtausch mit einer solchen Kreatur.
    Unehrenhafte Gedanken kamen mir in den Sinn, Überlegungen, plötzlich zum Seil zu sprinten und Maged zurückzulassen. Beschämt erinnerte ich mich daran, dass er mein bester Freund war, nein, vielmehr mein einziger Freund, der mir zudem das Leben gerettet hatte. Ich konnte ihn nicht der Gnade dieser fürchterlichen Hexe überlassen.

    Und doch wusste ich, dass wir die Tür nicht ewig zuhalten konnten. Ich wusste nicht mehr weiter und fragte Maged um Rat.
    »Es ist ganz einfach, Robert. Der Gott Seth hat Amara nur die Macht verliehen, nachts ihr Unwesen zu treiben. In der Morgendämmerung ist sie wieder wie die anderen Toten.«
    »Bist du sicher?«
    »So hat es mir meine Großmutter erzählt.«
    »Dann hoffe ich, dass deine Großmutter Recht hatte.«
    Keiner von uns wusste genau, wann an diesem Morgen die Dämmerung hereinbrechen würde. Um kurz nach fünf endete jedoch der Druck auf der anderen Seite der Tür. Zur Sicherheit warteten wir, bis meine Armbanduhr sechs Uhr anzeigte. Dann öffneten wir die Tür.
    Amara hatte sich wieder auf Kemweses Brust gesetzt.
    Als wir ihr Grab betraten, verharrte sie reglos.
    Mir kam der scheußliche Gedanke, dass Maged sich irrte und wir mit einem Trick in das Grab gelockt worden waren. Ich konnte den Blick nicht von der schrecklichen Gestalt abwenden. Ihre leeren Augenhöhlen, nichts als zwei Gruben in dem zerstörten Gesicht, schienen genau in meine lebendigen Augen zu starren. Der nackte Körper war braun; an manchen Stellen furchtbar zerknittert, an anderen glatt wie Melonenschale. Von ihrem einem Totenschädel ähnelnden Kopf wallte das kupferfarbene Haar glänzend um ihre Schultern und fiel über eine Brust, die so leer herabhing wie die Brieftasche eines armen Mannes. Es war mir unbegreiflich, wie die Haare dieser Leichenhülle aus dem Altertum noch immer so schön und lebendig aussehen konnten.
    Eine Bewegung neben mir weckte mich aus meinem tranceähnlichen Zustand. Ich war versucht wegzulaufen, doch es
war nur Maged, der vorgetreten war und das Ding mit dem Fuß angestoßen hatte. Es fiel zur Seite.
    »Siehst du, Robert?«, flüsterte er.
    Ich seufzte erleichtert. »Und du sagst, dass sie nicht … vor … vor Sonnenuntergang aufstehen wird?«
    »Das hat mir jedenfalls meine Großmutter erzählt.«
    »Hervorragend.« Mit zitternden Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Ich schritt im Grab hin und her, rauchte und dachte nach. Blauer Rauch ringelte sich an den mit Schweineblut gestrichenen Wänden hoch. Schließlich sagte ich: »Lass sie uns einpacken.«
    »Was?«
    »Wir legen sie zurück in den Sarg und versuchen, vor Einbruch der Dunkelheit damit hier rauszukommen.«
    »Jetzt?«
    »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf Morgen, mein Freund. Das gilt besonders für unangenehme Aufgaben.«
    Und es sollte sich tatsächlich als unangenehme Aufgabe

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