Der Kaffeehaendler - Roman
Immer wieder fragte er mich warum, warum, warum – wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal gefickt wird. Doch ich glaube an Ehrlichkeit. Ich habe ihm gesagt, er solle den Judenmann fragen. Der Judenmann würde ihm sagen, warum, denn der Judenmann habe dafür bezahlt.«
Miguel schloss die Augen und wandte sich ab. Nach einem Moment – zu langes Schweigen, dachte er – drehte er sich wieder zu dem Schuft um. »Warum haben Sie das getan? Warum haben Sie ihm das erzählt?«
»Weil ich Madame Damhuis versprechen musste, Ihnen trotz der Art und Weise, wie Sie sie behandelt haben, nicht wehzutun. Schön und gut, also habe ich beschlossen, Ihnen nicht wehzutun, aber mit irgendetwas muss ich meinen Spaß haben. Das war’s.«
»Scheren Sie sich fort«, sagte Miguel erneut.
»Oh, das werde ich gewiss, darauf können Sie sich verlassen. Alles Gute, Judenmann.« Hendrick gab vor, an seinen verlorenen Hut zu tippen, und hüpfte dann fröhlich am Kanalufer entlang davon. Miguel stand an der Tür und beobachtete ihn, und selbst, nachdem er längst weg war, stand er noch dort und starrte in die Ferne, in die er verschwunden war.
Er wusste später nicht mehr, wie lange er in freudlosem, angewidertem Schweigen dagestanden hatte. Irgendwann drehte er sich um und sah seine Zugehfrau in der Küche das Frühstück zubereiten; sie ignorierte ihn aus Angst und Verwirrung und tat so, als ob Männer immer in ihrem Nachtanzug an der offenen Tür stünden und in den Morgen hinausstarrten. Als er im Laufe des Tages aufschaute, merkte er, dass er an der Börse Geschäfte machte, und fragte sich, wie er dorthin gekommen war, welche Abschlüsse er schon getätigt hatte, und ob er in einem solchen Zustand wohl mit mehr Vorsicht
handelte als sonst. Wie konnte er überhaupt ans Geschäft denken? Seine Freundin Geertruid ruiniert und für immer im Exil. Joachim verprügelt und vielleicht in Lebensgefahr. Sein Bruder zugrunde gerichtet und gedemütigt.
Er wartete darauf, dass die Wache kam und ihn zur Schlägerei befragte, aber sie tauchte nie auf. Als er sich wenige Tage danach auf die Suche nach Joachim machte, um ihm Geschenke zu bringen, um sich zu vergewissern, dass er den besten Chirurgen hatte, stellte er fest, dass er und seine Frau die Stadt in aller Eile verlassen und ihren Anteil am Kaffeeprofit zusammengerafft hatten, ehe Miguel, wie sie jetzt gewiss argwöhnten, eine Möglichkeit fand, ihnen das Geld wieder abzunehmen. Er war in dem Glauben abgereist, dass die Gesten der Freundschaft nur das Vorspiel zu einem Betrug gewesen waren.
Die Vorstellung belastete Miguel und versetzte ihn in eine mürrische Stimmung, die kein Triumph an der Börse vertreiben konnte. Doch nach wenigen Wochen, als Hannah von Daniel geschieden war, nahm er sie zur Frau und gelobte, nicht mehr mürrisch zu sein. In der Behaglichkeit des Ehelebens fiel es ihm leicht, erst Joachim und dann Geertruid zu vergessen und wieder Freude an seinem Beruf zu finden. Er legte eine Hand an seine Schläfe. Alferonda hatte in einer Hinsicht sicherlich Recht gehabt: Es wäre Wahnsinn, wenn er sich vom Kaffee abwandte. Der Ruhm des Getränkes hatte sich, angefacht durch Miguels Duell mit Parido an der Börse, bereits verbreitet. Schon sah er nervöse Händler, angeregt durch das wundersame Gebräu, hektisch ihre Gebote rufen. Geschäftsleute hatten begonnen, in den Schenken der ganzen Stadt an Stelle von Bier oder Wein Kaffee zu verlangen. Vielleicht würde Miguel doch noch ein Vermögen machen.
Obgleich Hannah nach der Geburt des Babys feststellte, dass sie keine Zeit hatte, lesen zu lernen, beklagte sie sich
nicht, nicht einmal insgeheim. Miguel wusste, dass sie sich ein Mädchen gewünscht hatte, aber sie liebte Samuel, ihren Sohn, trotzdem. Beiden war nicht wohl dabei, Daniel zu verschweigen, dass es sein Sohn war, doch es gab keine Möglichkeit, das Geschehene rückgängig zu machen. Und Miguel liebte den Jungen, als ob es sein eigener wäre. Später allerdings, als ihr zweiter Sohn zur Welt kam, den sie nach seinem Vater benannten, merkte Miguel, dass er dieses Kind bevorzugte. Gelegentlich wurmte es ihn, dass er denselben Fehler machte, den er bei seinem Vater so verurteilt hatte, doch was sollte er tun? Manche Dinge, zu dem Schluss war er gelangt, lagen einfach in der Natur des Menschen.
Historische Anmerkungen
Wenn heute von Wirtschaft und Geschäftsleben im goldenen Zeitalter Hollands die Rede ist, so denken die meisten Menschen an den Handel mit Gemälden,
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