Der Kaffeehaendler - Roman
überlassen war, und sie wollte nicht, dass er Hunger litt. Überdies schien er im Gegensatz zu Daniel das Essen immer zu genießen, es als ein Vergnügen zu betrachten statt als bloße Notwendigkeit zum Überleben. Stets dankte er ihr und lobte die Qualität der Speisen. Er gab sich große Mühe, kleine, eigentlich unwichtige Bemerkungen zu machen, dass etwa die Muskatnuss im Hering den Fisch glitzern lasse oder die Pflaumensoße, die sie zu den Eiern servierte, köstlicher sei denn je.
»Die Karotten müssen noch mit Backpflaumen und Rosinen geschmort werden«, sagte Annetje, als sie sah, dass Hannah sich einen Augenblick ausruhte.
»Ich bin müde.« Sie seufzte, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Sie verabscheute es, Schwäche vor dem Mädchen zu zeigen, aber sie war nun einmal in anderen Umständen, und das sollte als Entschuldigung ausreichen. Es sollte
ausreichen, doch es war nichts damit gewonnen, dass sie darüber nachdachte, was sein sollte und was nicht. Zum Beispiel war es nicht recht, dass die Ehefrau eines portugiesischen Hidalgos in einer heißen und dunklen Küche mit ihrem Dienstmädchen Spargel schnitt. Dennoch, das verlangte er von ihr, und das tat sie auch. Sie legte Wert darauf, sein Haus in Ordnung zu halten, und in seinen Augen untadelig zu erscheinen.
Nach ihrer Übersiedelung nach Amsterdam hatte Daniel ihr erlaubt, eine Schar von Dienstboten einzustellen, nach wenigen Wochen aber entdeckt, dass es Brauch war, dass holländische Ehefrauen, selbst die Ehefrauen hoch gestellter heren , sich die Arbeit mit ihren Mägden teilten. Ein Haus ohne Kinder hatte niemals mehr als einen Dienstboten. Voller Freude, sein Geld sparen zu können, hatte Daniel beinahe alle entlassen und nur Annetje behalten, die Hannah bei ihren Aufgaben helfen sollte. Er bevorzugte sie, weil sie katholisch war.
»Sie sind müde«, wiederholte Annetje verdrießlich. Dann ein Achselzucken.
Hannah konnte nur leidlich Holländisch und Annetje noch weniger Portugiesisch, deshalb waren ihre Gespräche oft auf wenige Worte beschränkt. Hannah – die törichte, törichte Hannah – hatte dem Mädchen in jenen ersten Tagen zu sehr vertraut. Sie hatte ihrem hübschen Lächeln und ihrer guten Laune und den meergrünen Augen vertraut. In den Stunden, die sie gemeinsam damit verbrachten, wie Gleichgestellte zu schuften – indem sie die Böden schrubbten, die Schwellen wischten und dabei Pfützen auf den Küchenfußboden schwitzten -, hatte Hannah das Mädchen lieb gewonnen und angefangen, sich ihr anzuvertrauen. Annetje brachte ihr ein paar Brocken Holländisch bei und versuchte selbst, Portugiesisch zu lernen. Sie zeigte Hannah, wie sie die Treppe vor dem Haus scheuern musste (was in Lissabon niemand getan hatte), wie sie bei den Händlern auf dem Dam die besten Waren ausfindig
machte, und woran sie erkannte, ob der Bäcker Kreide benutzte, um sein Brot weißer zu machen.
Allmählich hatte Hannah das Mädchen als ihre einzige echte Verbündete betrachtet. Sie fand wenige Freundinnen unter den anderen jüdischen Frauen der Vlooyenburg, und neben ihrer Hausarbeit hatte sie kaum Zeit für müßige Bekanntschaften. Die Böden waren zu schrubben, die Kleider zu waschen, die Mahlzeiten zuzubereiten. Frühstück vor Sonnenaufgang, Mittagessen, wenn Daniel von der Börse heimkehrte – irgendwann zwischen zwei und sechs, es musste also immer bereitstehen -, und später, je nachdem, wann er zu Mittag gegessen hatte, ein leichtes Abendbrot. Dann gab es noch die Sabbat-Mahlzeiten, bei denen er Gastgeber war, und die Havdalah -Zusammenkünfte. Manchmal, wenn er Freunde oder Kollegen zum Essen eingeladen hatte, überwachte er Hannah und Annetje bei der Zubereitung, machte törichte Vorschläge und war ihnen nur im Wege.
Hannah hatte in ihrem Leben noch nie so viel arbeiten müssen. In Lissabon hatte sie gelegentlich genäht und geflickt und an Feiertagen beim Kochen geholfen. Sie hatte sich um die Kinder älterer Verwandter gekümmert und die Kranken und Betagten versorgt. Das war nichts gewesen im Vergleich hierzu. Nach einer Woche hatte Annetje sie in einer Ecke kauernd vorgefunden, wo sie so heftig weinte, dass sie am liebsten ihren Kopf gegen die Steinmauer geschlagen hätte. Das Mädchen hatte sie angefleht zu sagen, was los war. Doch wo sollte sie anfangen? Was passte ihr nicht? Amsterdam. Juden. Gebete. Synagoge. Kochen. Scheuern. Und Daniel. An allem hatte sie etwas auszusetzen, aber nichts davon konnte sie laut
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