Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Flohmarkt, aber meistens bleibe ich zu Hause.«
»Kein Freund oder so was?« Sie schwieg. »Tut mir Leid, dass ich gefragt habe.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ist doch kein Verbrechen oder?«
»In unserem Beruf – wie soll man da auch andere Leute kennen lernen?«
Sie sah ihn an. »Deshalb also der Single-Club?«
Er errötete. »Kann schon sein.«
»Keine Sorge. Ich sag's nicht weiter.«
Er versuchte zu lächeln. »Danke.«
»Trotzdem haben Sie Recht«, fuhr sie fort, »wann lernt man in unserem Beruf schon mal jemanden kennen? Mal abgesehen von den Kollegen.«
»Und den Kriminellen natürlich.«
Die Art und Weise, wie er das Wort aussprach, weckte in ihr den Verdacht, dass er es noch nicht mit allzu viel »Kriminellen« zu tun gehabt hatte. Trotzdem nickte sie.
»Ich glaube, das kleine Café da drüben hat geöffnet«, sagte er. »Wenn Sie Lust haben…?«
»Oh ja, einen Tee und etwas Gebäck.« Sie nahm seinen Arm. »Ein herrlicher Sonntagnachmittag.«
Allerdings hatte die Familie am Nachbartisch ein hyperaktives Kind mitgebracht und einen schreienden Säugling in einem Kinderwagen. Linford drehte sich um und warf dem Kind einen finsteren Blick zu. Offenbar glaubte der Mann, dass seine Ausstrahlung genügte, um den Kleinen zur Ruhe zu bringen.
»Was ist so komisch?«, fragte er, als er sich wieder Siobhan zuwandte.
»Nichts«, sagte sie.
»Glaub ich nicht.« Er rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee.
Sie sprach leise, damit man sie am Nebentisch nicht verstehen konnte. »Im ersten Augenblick hab ich gedacht, Sie wollen den Kleinen verhaften.«
»Keine schlechte Idee.« Seine Stimme klang ernst.
Sie saßen ein, zwei Minuten schweigend da. Dann fing Linford an, von seinem Job zu erzählen. Als er eine kleine Pause einlegte, fragte sie ihn: »Und was machen Sie so in Ihrer Freizeit?«
»Na ja, ich hab immer viel zu lesen: Fachliteratur und Zeitschriften. Ich hab ständig zu tun.«
»Klingt faszinierend.«
»Ja, das sagen viele Leute…« Er verstummte und sah sie an. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Sie nickte lächelnd. Er räusperte sich und fing wieder an, in seinem Kaffee herumzurühren.
»Themenwechsel«, sagte er schließlich. »Was ist eigentlich dieser John Rebus für ein Typ? Sie arbeiten doch mit ihm in der St. Leonard's Street zusammen.«
Obwohl von einem Themenwechsel keine Rede sein konnte, nickte sie. »Wieso fragen Sie?«
Er zuckte mit den Achseln. »Dieses Komitee – er nimmt es offenbar nicht ernst.«
»Vielleicht würde er lieber was anderes machen.«
»Ja, den ganzen Tag mit 'ner Zigarette im Mund in der Kneipe rumsitzen. Trinkt zu viel, der Mann, stimmt's?«, sagte er.
Sie sah ihn distanziert an. »Nein«, sagte sie kalt.
Er schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, wieder eine falsche Frage. Natürlich müssen Sie ihn verteidigen, ist ja ein enger Kollege von Ihnen.«
Sie verzichtete auf eine Antwort und er ließ seinen Löffel klirrend auf die Untertasse fallen.
»Wirklich idiotisch, wie ich mich verhalte«, sagte er. Der Säugling fing wieder an zu schreien. »Ich kann bei dem Geschrei einfach nicht klar denken.« Er sah sie kurz an. »Gehen wir?«
5
Am Montagmorgen fuhr Rebus zunächst in das Pathologische Institut. Wenn gerade eine Autopsie durchgeführt wurde, trat er normalerweise durch den Seiteneingang ein, der unmittelbar in den Zuschauerbereich führte. Doch da die Abluftanlage des Gebäudes nicht in Ordnung war, wurden im Augenblick sämtliche Obduktionen in einem Krankenhaus durchgeführt, und das Pathologische Institut diente lediglich der Aufbewahrung. Schon als er eintraf, fiel ihm auf, dass draußen auf dem Parkplatz keiner der typischen grauen Bedfords abgestellt war. Anders als in den meisten britischen Städten wurde in Edinburgh zunächst jede Leiche in das Institut gebracht. Die Bestattungsunternehmen kamen erst später ins Spiel. Er betrat das Gebäude durch den Personaleingang. Im so genannten Kartenzimmer – das so hieß, weil die Mitarbeiter hier in den Pausen Karten spielten – war niemand zu sehen. Deshalb ging er direkt in das Kühlhaus. Dougie, der für den Betrieb verantwortlich zeichnete, stand dort in seinem weißen Kittel mit einem Klemmbrett in der Hand.
»Hallo, Dougie«, sagte Rebus, um sich bemerkbar zu machen.
Dougie sah ihn durch seine Nickelbrille an. »Morgen, John.« Er blinzelte seinem Besucher fröhlich entgegen. Ein humorvoller Mann, der nach eigenem Bekunden in einem »todschicken Laden« arbeitete.
Rebus
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