Der kalte Himmel - Roman
die Augen sehen.
» Du hast dir doch so viel vorgenommen. Was ist jetzt mit ›Der Aufschwung ist für alle da‹? «, erwiderte Sepp fassungslos.
» Ach, hör auf « , rief Paul verbittert. » Das alles ist so schon schwer genug. Aber die Rechnungen von Felix’ Behandlung, das haut hinten und vorne nicht hin … «
» Herrschaft, Paul « , grollte Sepp. » Ich weiß nicht, ob das geht. Ich muss mal mit dem Fissler reden. Und ich verliere natürlich auch meine Provision. «
» Ach, darum geht’s « , brauste Paul auf und zündete sich eine Zigarette an.
» Ja, ich muss auch von was leben « , stöhnte Sepp und funkelte Paul zornig an. Doch als er seinen einst so hoffnungsfrohen Freund hier wie ein ausgebleichtes Stück Treibholz sitzen sah, lenkte er ein. » Ich schau mal, was ich machen kann. «
*
Als Xaver an diesem Abend im Schlafanzug in seine eheliche Schlafstube trat, flocht Elisabeth gerade ihren langen grauen Zopf auseinander, mit dem sie tagsüber ihre mit den Jahren dünn gewordenen Haare zusammensteckte.
» Hast du endlich mal mit dem Paul gesprochen? « , fragte sie spitz und verfolgte durch den Wandspiegel die gebeugte Gestalt ihres Mannes, der sich schwer auf seine Bettseite sinken ließ. » Die Leute reden schon. Erst vor kurzem war er beim Otto auf der Bank. «
» Was würdest du ihm denn für einen Vorschlag machen? « , fragte Xaver spöttisch.
» Du bist so ein Sturschädel « , schimpfte Elisabeth. » Du brauchst dich nicht wundern, wenn dein Sohn Haus und Hof vor die Hunde gehen lasst. «
Xaver drehte sich zu ihr um. Seine blauen Augen hatten sich verdunkelt, in dem Blick, der sie traf, schimmerte die erloschene Asche eines schon vergessenen Feuers.
» Ach, jetzt bin ich schuld « , brach es mit ungewohnter Schärfe aus ihm heraus. » Dafür warst doch immer du zuständig « , sagte er und seine Stimme wurde gefährlich leise. » Angst einjagen « , nun keuchte er, » beten bis zum Umfallen! Und für was? Deine Kinder vertrauen dir nimmermehr. «
Am Ende hatte Xaver zu schreien angefangen. Er brüllte sich seinen ganzen Zorn aus dem Leib, so wie ein schlafender Vulkan auf einmal wieder aufwacht, brach es aus ihm heraus.
Vor Schreck hatte Elisabeth ihren Kamm fallen lassen, doch sie rührte sich nicht. Starrte nur in das Spiegelbild ihres eigenen, ihr selbst so fremd gewordenen Gesichts.
» Die Marie treibst aus dem Haus « , schrie Xaver weiter, und Elisabeth versuchte vergeblich, ihre plötzlich zitternden Knie in Schach zu halten. Er sollte nicht sehen, was seine Worte angerichtet hatten, also ließ sie sich vorsichtig auf ihren Hocker sinken. » Aus dem Felix machst einen Teufel « , hallte die Stimme von Xaver in ihren Ohren. » Da fragt man sich, wer dran schuld ist, wenn der Paul alles vor die Hunde gehen lasst « , kam es nun erschöpft von seiner Bettseite.
Reglos saß er nun da und starrte vor sich hin. Seine Stimme hatte bei den letzten Worten wieder ihren schnarrenden, leisen Ton angenommen, den sie so gut an ihm kannte. Nur sie selbst kannte sich nicht mehr aus. Nicht mit sich und nicht mit den anderen. Hatte sie wirklich alles falsch gemacht?
*
» Halt, nicht so schnell « , keuchte Marie, als Felix voller Tatendrang den asphaltierten Weg zum Klinikgebäude vor ihr herstürmte.
» Ich schaffe vierhundertzwanzig Schritte in zweihundert Sekunden « , erklärte ihr Sohn eifrig.
» Du willst ja nur ganz schnell bei Niklas sein « , rief Marie, und noch ehe sie ihn einholen konnte, war Felix schon durch die Drehtür geschlüpft und hüpfte im Foyer der Klinik ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
» Sie sehen müde aus « , begrüßte Niklas sie und schaute Marie forschend in die Augen.
» Ach nein « , wehrte sie verlegen ab, » ich komm schon klar. «
Ohne die Aufforderung der Erwachsenen abzuwarten, war Felix aus dem Besprechungsraum weiter ins Behandlungszimmer gehüpft, wie selbstverständlich griff er in den Holzkasten und holte einige Zahlen hervor.
» Du darfst nicht alles anpatschen « , rief Marie zu ihm hinüber, doch Niklas wehrte lächelnd ab.
» Das macht doch nichts « , sagte er leise.
» Er konnte es kaum erwarten « , sagte Marie. » Kaum erwarten, wieder bei Ihnen zu sein. «
Beide sahen sich an. Marie senkte den Blick.
» Ich muss mit Ihnen sprechen « , sagte Niklas. » Setzen wir uns einen Moment. «
Während Marie auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz nahm, sah sie, wie ihr Sohn an das große Fenster zum Foyer trat. Wie jeder
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