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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Rätsel ihres Jungen auf die Spur zu kommen. Der letzte Akkord des ersten Satzes verklang.
    » Danke « , flüsterte Marie und beugte sich zu Niklas hin, » ich danke dir. «
    Ganz nah waren ihre Gesichter, da hörte Marie ein leises Knacken von der oberen Saaltür. Vorsichtig drehte sie sich um. Paul. Plötzlich war ihr Mann da, stand einfach auf dem Treppenabsatz und sah zu ihr hinunter. Später wusste sie nicht mehr, wie sie in diesem Moment die vielen Stufen hinaufgekommen war. Endlich stand sie vor ihm, und erst in diesem Moment fuhr ihr die Überraschung so richtig in die Glieder. Sie zitterte, ihre Knie schlotterten. Wie mit einem Vergrößerungsglas nahm sie alles an ihm wahr. Wie grau sein Gesicht war, wie tief sich die Schatten unter seinen Augen eingegraben hatten. Wie hilflos er da stand.
    » Komm « , sagte sie leise. » Komm. Du musst dir etwas ansehen. «
    Zusammen liefen sie die Stufen zum Podium hinunter. Die letzten Töne der Sonate verklangen. Nun war es ganz still im Saal. Dann beugte sich der Professor zu Niklas und besprach sich mit ihm, unhörbar für die anderen.
    Marie und Paul standen unbeholfen nebeneinander. Wie fremd sie aussieht, dachte er. Mit ihren offenen Haaren und dem Haarband. Nie zuvor hatte seine Frau ihre langen Haare in der Öffentlichkeit so getragen. Dieser Anblick hatte immer ihm allein gehört. Und er ahnte, dass das nicht die einzige Veränderung sein würde, auf die er sich einstellen musste.
    » Hast du gehört, was der Professor vorhin gesagt hat? « , fragte sie leise.
    Paul nickte. » Ja, Marie, das hab ich gehört. «
    Mit raschen Schritten kam Felix nun vom Podium herunter auf seine Eltern zugesprungen, Alex folgte ihm in einigem Abstand.
    » Papa? Papa! « , rief er ungläubig und lief auf Paul zu.
    Sein Vater beugte sich zu ihm hinunter und drückte ihm einen Kuss in die Haare. » Papa, bist du auch mit dem Bus gekommen? «
    » Nein Felix « , antwortete Paul. » Ich bin mit unserem Auto da. «
    » Ford Taunus, Baujahr 196 6 , sechzig PS , ein Meter zweiundsiebzig breit und ein Meter achtundvierzig hoch « , kam es prompt wie aus der Pistole geschossen.
    Das hat sich also nicht verändert, dachte Paul, und noch während er seinen Jungen nachdenklich betrachtete, war Niklas mit Professor Krenn näher gekommen.
    » Paul « , Marie sah ihren Mann unsicher von der Seite an. » Darf ich dir Dr. Cromer vorstellen? «
    Beide Männer nahmen sich nun erstmals genauer in Augenschein. Der Händedruck fiel kühl aus. Alles an Niklas war gepanzerte Vorsicht. Und Paul hatte vorhin genug gesehen. Er hatte Maries Blick im Profil von der Tür aus beobachten können, dieses himmelstürmende Vertrauen, wie ein Blitz war ihm das in die Glieder gefahren.
    » Lass uns gehen, ja? « , sagte Marie nervös und zog Paul mit Felix zum Treppenhaus hin.
    Niklas sah an ihr vorbei und zündete sich erst einmal eine Zigarette an. Es war sinnlos, sie hier noch einmal anzusprechen. Er musste sich seine nächsten Schritte genau überlegen. Das überraschende Auftauchen ihres Ehemannes hatte auch ihn überrumpelt. Doch er war hier der behandelnde Arzt, seine Gefühle taten da nichts zur Sache. Und er würde als Arzt handeln und gemeinsam mit Professor Krenn eine abschließende Anamnese im Fall Felix vorbereiten.
    » Ich hab den Wagen auf dem Parkplatz zur Allee hin abgestellt « , meinte Paul.
    » Darf ich mitfahren? « , fragte Felix seinen Vater.
    » Ja freilich « , antwortete Paul rasch. » Wenn uns die Mama sagt, wohin. «
    *

Eine halbe Stunde später schloss Marie die Tür zur Wohngemeinschaft auf, und Paul folgte ihr wortlos. Er stellte seine Tasche in ihrem Zimmer ab, legte seinen Mantel darüber und seinen Hut obenauf. Beklommen sah er sich um. Betrachtete die Plakate an den Wänden, das Chaos an bunten Farben, fremden Formen und ungewohnten Gerüchen. Beobachtete irritiert die jungen Leute hier. Registrierte ihren lockeren Ton, ihren unbefangenen Umgang miteinander, der so ganz anders war als alles, was er in seinem Leben bisher gesehen und erlebt hatte. Schritt für Schritt wanderte er den Flur entlang und inspizierte mit unbewegter Miene das Ho-Tschi-Minh-Plakat, die angeklebten Zeitungsausschnitte über den Krieg in Vietnam, das Massaker im Kongo, den Tod des Studenten Benno Ohnesorg im vorherigen Jahr.
    » Hier wohnt ihr also « , sagte er, als er schließlich die Gemeinschaftsküche betrat, in der Marie gerade einen Tee kochte und Alex ein paar Kekse aus einer blechernen Dose

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