Der kalte Himmel - Roman
über die Wangen.
» Wir können viel für Felix erreichen, gemeinsam mit anderen Kollegen bereite ich eine Initiative vor … «
Niklas’ Worte überschlugen sich nun, aber niemand hörte ihm mehr zu. Mit steinernem Gesicht hatte Paul seine letzte Zigarette ausgedrückt und war seiner Frau hinterhergelaufen.
Professor Krenn legte Niklas anerkennend die Hand auf die Schulter.
» Eine beeindruckende Analyse, Dr. Cromer « , sagte er. » Aber für die Eltern ein schwerer Schlag. «
*
Draußen vor dem Eingang der Klinik, auf einem Wegstück zwischen Parkplatz und Bushaltestelle, fand Paul seine Frau schließlich wieder.
» Marie « , sagte er. » Jetzt warte doch mal. «
Aber Marie drehte sich nicht zu ihm um und wehrte ihn ab, als er sie zu sich heranziehen wollte. Wortlos starrte sie auf den grauen Asphalt. Und so stand er hinter ihr und rührte sich nicht, bis sie sich schließlich doch ganz langsam zu ihm umwandte.
» Ich bin so müde « , schluchzte sie auf, und jetzt sah er, dass ihr die Tränen aus den Augen schossen, so unerschöpflich, als ob sich eine bis dahin verborgene Quelle aufgetan hatte, die nun nie wieder versiegen würde. Noch nie hatte Paul seine Frau so weinen sehen.
» Marie « , sagt er mit spürbarer Erschütterung. » Wir werden schon einen Weg finden. «
» Wir? « , stieß sie verzweifelt hervor.
Ihre Frage traf ihn wie ein Schlag. Vorsichtig nahm er ihre rechte Hand. Dann führte er ihre blassen, zitternden Finger behutsam an seinen Mund und küsste sie.
» Wir « , sagte er beschwörend. » Du und ich, Marie. Du und ich. «
*
» Ich habe gehört, dass Sie am Samstag auf dem Ärztetag hier in Berlin einen Vortrag halten « , sagte Professor Krenn zu Niklas, als er sich in dessen Besprechungszimmer seinen Mantel anzog. » Ich finde Veränderungen wichtig. In allen öffentlichen Einrichtungen. Und was ich gesehen habe, wie Sie mit dem Jungen gearbeitet haben, das halte ich für den richtigen Ansatz. Alles Gute. «
Er warf dem jungen Arzt einen letzten aufmunternden Blick zu, dann verließ auch er den Raum. Niklas war nun mit Felix allein. Er lief zu dem Jungen in das angrenzende Behandlungszimmer und ließ sich dort in einen Sessel fallen. Erschöpft starrte Niklas auf die Tafel, die Felix während seiner Ausführungen im angrenzenden Behandlungszimmer erneut mit Zahlen beschrieben hatte. Dieser Junge hatte sein Leben verändert und seiner Arbeit als junger Mediziner die Richtung gewiesen. Die Analyse dieses Kindes hatte ihn zu einer Haltung herausgefordert, für die er ohne die Begegnung mit Felix vielleicht noch Jahre gebraucht hätte. Er wusste es nicht nur, er fühlte es auch. Er hatte allen Grund, diesem Jungen dankbar zu sein. Ihm – und seiner Mutter.
» Ich würde gerne meinen Sohn abholen. «
Niklas hatte Paul nicht kommen hören, der nun Felix’ und Maries Jacken einsammelte.
Auf Niklas’ fragenden Blick hin sagte Paul: » Sie wartet unten im Wagen. «
Niklas nickte.
*
Es war Anfang April, als Paul zwei Tage später Maries Gepäck im Kofferraum seines Wagens verstaute. Nur Felix’ Tasche fehlte noch. Auf dem Bürgersteig in der Schlüterstraße umarmten sich Alex und Marie lange, während Felix mit weit schwingenden Armen auf den Randsteinen balancierte.
» Fünf, sieben, neun « , begann er mit seinem Rechenspiel und entfernte sich murmelnd von den beiden Frauen.
» Und ihr kommt mich sicher wieder besuchen? « , fragte Alex.
» Ganz sicher « , antwortete Marie.
Für die letzte Reisetasche lief Paul noch einmal in das Haus, stieg die Stufen hoch zur Etage der Wohngemeinschaft, die er vor einigen Tagen mit so viel Skepsis und Angst betreten hatte.
» Berlin war besonders für mich « , sagte Marie unten auf der Straße leise zu Alex. » Hast du was von Niklas gehört? «
» Heute ist ja sein großer Tag « , antwortete Alex lächelnd. » Der Kongress. Für Niklas steht heute eine Menge auf dem Spiel. «
» Ihr habt wohl schon länger darüber gesprochen? « , fragte Marie.
Alex nickte. » Wir haben ihm die Faltblätter gedruckt. «
Ein graues VW -Cabrio bog in die Straße ein und parkte vor dem Haus gegenüber.
» Wenn man vom Teufel spricht « , murmelte Alex und grinste. » Ich geh noch mal hoch « , sagte sie rasch und ließ Marie allein.
Niklas war mit wenigen Schritten bei ihr. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover und einen schmalen dunklen Mantel. Marie wurde bewusst, dass sie ihn bisher fast nur in seinem weißen Kittel gesehen hatte
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