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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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– mit Ausnahme jener Nacht. Blass sah er aus. Zergrübelt.
    » Wollt ihr wirklich schon fahren? « , fragte er unumwunden.
    Marie nickte gefasst. » Ich habe noch zwei Kinder « , antwortete sie. » Und es ist höchste Zeit. « Für einen letzten Moment verweilten ihre Augen ineinander.
    » Ich werde mich damit abfinden müssen, dass Felix immer anders ist. «
    Niklas nickte. » Marie, ich bin hier in Berlin in Kontakt mit zwei jungen Ärzten. Das sind aufgeschlossene Kinderpsychiater. Wir haben gestern noch über die Gründung einer Privatschule für Kinder mit Entwicklungsstörungen gesprochen. Ein Kollege will eine Sektion für Hochbegabte in Nürnberg gründen. «
    Marie schluckte und kämpfte darum, die Tränen zurückzuhalten.
    » Das ist doch ganz in eurer Nähe. « Niklas nahm ihre Hände und drückte sie fest. » Marie, es ist alles in Bewegung. «
    *

In Maries Zimmer schnappte Paul gerade Felix’ Reisetasche, als sein Blick auf die Fensterbank fiel, wo noch das Säckchen mit den Murmeln lag, das Niklas seinem Patienten vor langer Zeit mitgegeben hatte. Er trat ans Fenster und sah seine Frau mit dem Arzt in vertraulichem Gespräch beisammenstehen. Paul zog eine Zigarette aus der Hosentasche und zündete sie an. Er hatte es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, nach unten zu kommen. Und wenn alles zu spät ist?, dachte er beklommen. Wenn es einfach vorbei ist?
    *

» Du musst unbedingt Dr. Thomas Hofer am Nürnberger Klinikum anrufen. Felix sollte dort auf diese Schule gehen. «
    Marie nickte. » Und du? « , fragte sie traurig. » Was wird aus dir? «
    Niklas rang mit sich. » Ich weiß es nicht « , stieß er hervor. » Aber ich werde heute auf dem Ärztekongress über Reformen in der Psychiatrie sprechen. Dabei werde ich mir sicherlich nicht nur Freunde machen. Aber es muss sich was ändern. Und der Kampf hat gerade erst begonnen. Felix wird für all die Kinder ein Beispiel sein, die nicht so eine Löwin zur Mutter haben. «
    Ein letztes Mal griff Marie nach seiner Hand. » Mach es gut, Niklas! Und zeig es ihnen! «
    *

Endlose Steinreihen hatte Felix bereits abgezählt, als Marie ihn endlich zu sich rief.
    » Komm, Felix! Es wird Zeit. «
    » Fünftausendneunhundertsiebenundsiebzig Steine sind es von dahin bis hierher « , sagte er.
    » Das werde ich nie nachzählen können « , murmelte Marie zärtlich und ging vor Felix in die Knie, um ihm den offenen Mantel für die Fahrt zuzuknöpfen. » Aber wenn du das sagst, mein Sohn, dann wird das stimmen. «
    *

Ein sonniger Vorfrühlingstag war es, als Marie, Paul und Felix die lange Strecke Richtung Hollertau zurückfuhren. Obwohl Felix schon kurz nach Berlin auf der Rückbank eingeschlafen war, sprachen sie lange kein Wort. Das Autoradio spielte Schlagermusik, und jeder hing seinen Gedanken nach. Keine Silbe hatte Paul über seine Beobachtung am Fenster gesagt, aber Marie spürte auch so, dass es in ihrem Mann arbeitete.
    » Bist du sicher, dass du wieder zurückwillst? « , brach es kurz vor Nürnberg dann doch aus ihm hervor.
    Marie dachte nach. » Zurück will ich nicht « , sagte sie schließlich. » Aber neu anfangen. Das schon. «
    In diesem Moment unterbrachen die Vieruhrnachrichten die Musik.
    » Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Ärztekammer kam es nach dem Vortrag eines Psychiaters zu Tumulten unter den Gästen. Studenten stürmten den Saal und verteilten Flugblätter, auf denen sie darauf hinwiesen, dass es endlich bessere Therapieformen nicht nur in der Psychiatrie geben muss. Zahlreiche Ärzte verließen erbost über die Aktion den Saal. Andere spendeten enthusiastisch Beifall. Es zeichnet sich eine unwiderrufliche Kehrtwende im Gesundheitswesen ab. «
    Als Paul zu seiner Frau hinübersah, lag ein stilles Lächeln auf ihren Lippen.
    *

Marie hatte keine Ahnung, wie sie nach ihrer langen Abwesenheit all das empfinden würde, was so lange fraglos ihr Zuhause gewesen war. Vor allem dem Wiedersehen mit Elisabeth sah sie mit einiger Beklemmung entgegen. Zu schweigen und wegzuschauen wie früher, nur um des lieben Friedens willen, das würde ihr kaum noch gelingen. Zu viel war in den vergangenen Wochen passiert. Die alte Marie gab es nicht mehr. Sie war über sich selbst hinausgewachsen. Vielleicht muss man dafür einmal wirklich allein gewesen sein, dachte sie.
    Die an manchen Tagen schon kräftig scheinende Aprilsonne hatte von dem Schnee auf den Feldern nichts mehr übriggelassen, nur in schattigen Winkeln lugte zwischen manchen

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