Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
Vom Netzwerk:
fernöstlicher Massage durchaus verderben konnten.

26 Faule Fische
    Die Tage nach Stepan Basarows Verhaftung waren schwierig für Katja. Jeden Morgen, wenn sie zur Arbeit kam, führt ihr erster Weg sie nach unten zur Kriminalmiliz, um sich die neuesten Informationen zu diesem Fall zu holen. Jeder Tag begann für sie und Kolossow mit ein und derselben peinigenden Frage: »Hat er gesagt, wo Lisa ist?«
    Für eine Anklageerhebung gab es vorläufig noch nicht genug Material. So wie Basarow sich geweigert hatte, Aussagen zu machen, so weigerte er sich auch entschieden, seine Unterschrift unter irgendwelche amtlichen Dokumente zu setzen. Der von Dmitri engagierte Anwalt beharrte unter Verweis auf den Gesundheitszustand seines Mandanten und die bereits früher gestellte Diagnose »chronisches Hirnsyndrom« darauf, es müsse schnellstens eine stationäre gerichtspsychiatrische Begutachtung vorgenommen werden. Falls das Verdikt »nicht zurechnungsfähig« gefällt werden sollte, wäre sowieso jegliches Ansinnen des Untersuchungsführers, Basarow des Mordes anzuklagen, im Keim erstickt. Und eben darauf rechnete die Verteidigung.
    Doch eine Begutachtung Basarows versprach, eine langwierige Angelegenheit zu werden. Fälle von klassischer Lykanthropie waren äußerst selten, wie ein Experte der Moskauer Klinik für Psychiatrie Katja erklärte. Katja erfuhr, dass die psychiatrische Praxis weltweit nur drei solcher Fälle kannte. Damit war Basarows Fall für die Spezialisten von größtem Interesse. Und sie wollten keine übereilten Schlussfolgerungen ziehen.
    Katja befragte den Experten eingehend zu den schwer verständlichen medizinischen Fachbegriffen der basarowschen Diagnose. Der Begriff »psychisch krank« rief bei ihr wie bei den meisten Menschen, die der Psychiatrie fern stehen, die Assoziation von etwas Schrecklichem hervor; es war gleichbedeutend mit »alles ist zu Ende« – ein Mensch ist ein für alle Mal erledigt. Stepan hatte bei ihren letzten Begegnungen tatsächlich einen gestörten Eindruck gemacht; jetzt aber fielen Katja auch wieder ganz andere Ereignisse ein: das Begräbnis auf dem Wagankowskoje-Friedhof, die Trauerfeier, bei der Stepan Verse vorgetragen hatte, oder wie er mit Sergej in Otradnoje vollkommen vernünftig und sachlich über das Survival-Camp und geschäftliche Angelegenheiten diskutiert hatte . . .
    »Wie kann ein und derselbe Mensch so verschieden sein?«, hatte Katja gefragt. »Wie kann er ein Survival-Camp für Kampfsport leiten, bärenstarke Kraftprotze in Schach halten, die Geschäfte der Familie führen und sich auf die eigene Hochzeit vorbereiten – und andererseits nachts durch den Wald rennen, Menschen ermorden und Tiere anfallen?« Auf diese Frage hatte der Experte nur die Schultern gezuckt. »Eine seelische Krankheit ist etwas Elementares. Was wissen wir schon darüber? Wenig, sehr wenig, trotz aller Fortschritte der Wissenschaft. Wir treten auf der Stelle: Serbski, Freud, Bechterew. . . Basarows Diagnose ist schlimm, mehr kann ich Ihnen auch nicht dazu sagen. Ein krankes Hirn ist eine sehr komplizierte Angelegenheit. Manchmal werden die Krankheitssymptome nur sehr langsam sichtbar. Es vergehen Jahre, Jahrzehnte. Aber wenn wir berücksichtigen, dass Basarow vier grässliche Morde zur Last gelegt werden. . . Auch wenn er zeitweise vielleicht den Eindruck eines ganz normalen Menschen gemacht hat – eigentlich war das immer nur eine Art Schatten seiner selbst, verstehen Sie?«
    Katja wusste, dass der schmale Grat zwischen normal und anormal in Basarows Charakter auch Kolossow beschäftigte. Einmal gestand er ihr, dass er den Fall noch nicht für abgeschlossen hielt: »Es lässt mich einfach nicht los, Katja.«
    Mit dem Studium einer psychisch kranken Persönlichkeit befasste Nikita sich weitgehend aus eigenem Antrieb; eigentlich war dies jetzt Aufgabe des Untersuchungsführers Kassjanow. Die Ermittler der Mordkommission brachten die Schüler des Survival-Camps in Otradnoje zum Verhör in die Staatsanwaltschaft. Aber offenbar handelte es sich um lauter Neulinge – sie wussten kaum etwas über Basarow. Der Stoßtrupp, der die Zigeunersiedlung überfallen hatte, wie Katja bezeugte, war spurlos verschwunden. Im Survival-Camp selbst gelang es nicht, Informationen über die ehemaligen Schüler zu bekommen. Die Listen erwiesen sich als gefälscht. Offenbar wollten die Schüler, die zu Basarow kamen, sich nicht zu erkennen geben. Deshalb ließ sich die Frage, die die Ermittler am meisten

Weitere Kostenlose Bücher