Der kalte Kuss des Todes
Zoologischen Museums brach.
»Iwan hatte er auch vorher schon verprügelt. Und Lisa . . .ja, ihr gegenüber hat er sich erst seit dieser Zeit so benommen.«
»Wusste dein Vater, was mit Stepan los war?«
Dmitri fuhr sich erneut mit der Hand übers Gesicht. Er war kreidebleich.
»Glaubst du, er hätte es ertragen mitanzusehen, wie sein Lieblingssohn vor die Hunde geht?«, fragte er heiser.
»Stepan war sein Lieblingssohn?«
Dmitri schwieg.
»Du willst deinen Bruder unbedingt retten, nicht wahr?« Kolossow stand auf und trat ans Fenster. »Ich fürchte, das wird schwierig.«
»Bei einer solchen Diagnose kommt nur die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt in Betracht«, wiederholte Dmitri hartnäckig.
»In die Klapse? Weißt du nicht, was das heutzutage bedeutet?«
Wieder schwieg Dmitri.
»Allerdings, wenn man genug Geld hat. . .« Kolossow kniff die Augen zusammen: Er hatte das Gefühl, Dmitris Gedanken lesen zu können.
»Ich kann nicht, verstehst du? Es geht einfach nicht, kapier das doch!« Dmitri schlug sich plötzlich heftig mit der geballten Faust an die Brust. »Was glotzt du mich so an? Ja, ich habe Iwan gesagt, er soll lügen! Ich war es . . . Was hättest du denn an meiner Stelle getan? Wir waren eine Familie, und nun liegt alles in Schutt und Asche, nach nur einem einzigen Monat! Erst Großvater, dann unser Vater und nun. . . Wer konnte denn wissen, dass diese Krankheit bei Stepan einen so schrecklichen Verlauf nehmen würde? Wer?«
Der Psychiater hatte Kolossow erklärt, dass das Krankheitsbild Stepan Basarows sehr kompliziert sei. »Wir wissen noch sehr wenig über die Natur derartiger Erkrankungen und ihre Folgen. Manchmal dauert der Prozess der Persönlichkeitsveränderungjahre, manchmal jedoch. . .«
»Beruhige dich Dmitri, schrei nicht.« Kolossow fuhr mit dem Finger über die schmutzige Fensterscheibe. »Persönlich kann ich dich ja verstehen. Aber ich kann darauf keine Rücksicht nehmen. Stepan gibt die Morde nicht zu – das hat der Anwalt dir sicher schon gesagt. Vor allem will Stepan nicht mit der Sprache heraus, wo sich die Leiche des Mädchens befindet. Dabei wäre es wichtig, dass er angesichts einer solchen Diagnose endlich gesteht!«
»Wieso?« Dmitri war auf der Hut, fürchtete offensichtlich eine Falle.
»Er spart Zeit. Jetzt, da er in einer Einzelzelle sitzt, geht es ja, da ist es noch erträglich. Aber bald wird man ihn ins normale Gefängnis verlegen. Weißt du, was das für einen Geisteskranken bedeutet? Schon die Gesunden halten es dort kaum aus: Schmutz, überfüllte Zellen, Läuse, Tuberkulose, man kann nicht schlafen, nicht mal sitzen und die Beine ausstrecken. Wenn es noch eine geringe Chance auf Heilung gibt«, Kolossow sprach mit großem Nachdruck, »sollte man sie schnellstens nutzen, denn nach dem Gefängnis wird es für Stepan hoffnungslos sein. Dann bleibt tatsächlich nur noch die Klapse bis ans Ende seiner Tage. Zwangsjacke und Gummihöschen – so wird das Schicksal deines Bruders aussehen. Du liebst ihn doch! Also hilf ihm, wirke auf ihn ein!«
»Damit er möglichst schnell alles gesteht?« Dmitri grinste boshaft. »Und wenn er unschuldig ist?«
»Ich sag dir jetzt die Wahrheit. Du bist Jurist und wirst es begreifen. Stepan hat nicht den Hauch einer Chance. Ich denke, das weiß auch der Anwalt. Er hat ja die Videokassette gesehen.«
Dmitri senkte den Kopf und blickte zu Boden. Kolossow seufzte. Endlich hatte er begriffen.
»Komm morgen früh gegen zehn nach Rasdolsk. Ich rufe Kassjanow an.« Kolossow überlegte in Gedanken bereits, was sein würde, wenn er Glück hatte und Dmitri seinen Bruder wenigstens so weit brachte, dass dieser verriet, wo die Leiche des Mädchens zu finden war.
»Ich werde zusammen mit dem Anwalt kommen«, sagte Dmitri.
Kolossow nickte – bitte sehr, wenn’s dir um das Geld nicht Leid tut.
»Du hast wahrscheinlich früher intensiv Sport getrieben, genau wie dein Bruder, nicht wahr?«, fragte er plötzlich, beinahe unerwartet für sich selbst, als Dmitri sich zum Gehen wandte. Kolossow schien es, als sähe er ihn zum ersten Mal richtig: Schultern wie ein Preisboxer, ein mächtiger Hals, die kräftige Hand auf der Türklinke . . . Wie ähnlich sie sich doch waren, diese verdammten Zwillinge!
Dmitri drehte sich langsam um.
»Ja. Aber das ist schon lange her. Inzwischen habe ich mit dem Sport ganz aufgehört.«
Kolossow nickte verständnisvoll. O ja, es gab Dinge im Leben, die einem den Spaß an Bodybuilding, Sauna und
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