Der kalte Kuss des Todes
Wetter wie im Urlaub, aber an diesem Tag konnte Katja gar nichts damit anfangen.
Sie hoffte, aus diesem Montag ein Maximum an Informationen über den Auftragsmord herauszuholen. Zunächst erkundigte sie sich, ob der Chef der Mordkommission sich an seinem Platz befand. Es stellte sich heraus, dass Kolossow zu einer Dienstbesprechung beim Chef war. Das kam Katja gerade recht – sie beschloss zu warten und legte sich geduldig auf die Lauer.
Ihr Beruf als Kriminalberichterstatterin im Allerheiligsten einer so seriösen und soliden Institution wie der Hauptverwaltung der Moskauer Miliz erinnerte Katja nicht selten an die schwierige Arbeit eines Jägers oder Spurensuchers. Eine einmal aufgenommene Spur – ein Fall, in dem Katja die künftige Sensation witterte – veranlasste sie im buchstäblichen Sinne des Wortes, Jagd auf das gesuchte Wild zu machen. In die Kategorie »Wild« fielen all jene, die direkt oder indirekt über Informationen zum Fall verfügten und einen interessanten und brauchbaren Kommentar für die Presse geben konnten.
Doch ein Frontalangriff auf Amtspersonen erbrachte selten das gewünschte Resultat. Das Wörtchen »Presse« wirkte auf Untersuchungsführer und Ermittler beunruhigend und besorgniserregend. Daher musste Katja zu verschiedenen Tricks greifen. Sehr rasch wurde ihr klar, dass alle diese wichtigen, ungeheuer beschäftigten Spezialisten in der Mehrzahl nur ganz gewöhnliche Männer waren, und der Weg zum Herzen eines Mannes führt bekanntlich über den Magen.
Deshalb wollte Katja den schwer greifbaren Kolossow in der Mittagspause abpassen. Sie rief ihre Freundin im Sekretariat an, und diese versprach zurückzurufen, sobald die Mitarbeiter der Kriminalmiliz sich auf den Weg zum Mittagessen machten.
Im Anschluss daran wollte Katja ein Gespräch mit Wanjetschka Woronow führen, der nicht nur bei der für sie hochinteressanten Mordkommission arbeitete, sondern auch noch ein begabter Dichter war. Zwischen ihm und Katja bestand aus diesem Grund eine gewisse Seelenverwandtschaft – ein Umstand, den sie schamlos ausnutzte. Wenn Woronow seine neuesten Verse ins Pressezentrum brachte, um »das unvoreingenommene Urteil echter Literaturkenner einzuholen«, gab sie sich alle Mühe, seiner dichterischen Eitelkeit zu schmeicheln, um ihm anschließend wie zufällig Fragen über all jene Dinge zu stellen, die sie interessierten. Woronow war jung und unerfahren, wie alle Poeten, und aus diesem Grund eine wertvolle Informationsquelle.
Ohne lange zu fackeln, rief Katja den Dichter an, und der kam schnurstracks angeflogen wie die Motte zum Licht.
»Was meinst du, Katja – kann ich das zum Wettbewerb an die Zeitung schicken?«, erkundigte er sich schüchtern, nachdem Katja mit ihren Lobhudeleien fertig war.
»Natürlich, unbedingt!«, versicherte Katja voller Begeisterung.
Ungefähr fünf Minuten lang sprachen sie noch über Literatur; dann pirschte Katja sich vorsichtig an den Fall heran. Die Nachricht, dass man Grant des Mordes an Sladkich verdächtigte und der Profikiller noch dazu unter dem Verdacht stand, drei weitere Auftragsmorde verübt zu haben, hatte Katja zutiefst erstaunt. Die Neuigkeit, dass man Grant selbst tot aufgefunden hatte – zwölf Stunden nach dem von ihm begangenen Verbrechen – , überraschte sie schon nicht mehr allzu sehr. Was sollte daran verwunderlich sein? So wurden die Spuren verwischt. Doch Katjas Ruhe hielt nur so lange an, bis der redselige Woronow ihr im Vertrauen berichtete, auf welche Weise man den Killer erledigt hatte.
»Wie seltsam . . . Wäre es nicht einfacher gewesen, den Kerl einfach abzuknallen?«
Weder mit Sladkich noch mit Grant verspürte sie das geringste Mitleid (und war selbst ein wenig erschrocken über ihre Hartherzigkeit).
»Und heißt das jetzt, wir stecken in einer Sackgasse?«, stellte sie die nächste Frage.
Woronow blickte auf die Uhr.
»Was ich nicht weiß, Katja, das weiß ich nicht«, gestand er. »Wir werden unsere Pflicht tun. So, jetzt muss ich los.«
Nach diesem Besuch war Katjas gesamte Energie plötzlich verpufft. Es war nämlich so, dass die angesehene Zeitschrift »Criminal Digest« einen längeren Artikel über den Stand der Ermittlungen in diesem Aufsehen erregenden Fall bei ihr in Auftrag gegeben hatte (sämtliche Fernsehkanäle berichteten über nichts anderes mehr). Der Chefredakteur persönlich hatte Katja am Wochenende sogar zu Hause angerufen. Für eine solche Reportage gab es ein ansehnliches Honorar. Und nun so was.
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