Der Kalte Kuss Des Todes
Lärm des Verkehrs verklang, der Ozongeruch des Flusses verschwand, ebenso der scharfe Oktoberwind.
Ein Ruck ging durch die Welt, keine fühlbare Bewegung, es war vielmehr, als würde sich der Raum selbst umformen. Die Magie trug mich aus der Menschenwelt hinaus.
Und ins Dazwischen .
Der Fluss verschwand, stattdessen klaffte nun ein unendlicher schwarzer Abgrund vor mir auf. Mir wurde schwindelig,
aber ich konnte den Blick nicht davon abwenden. Ich fühlte mich wie magisch von der Tiefe angezogen, ein Sirenenruf, ein Versprechen, dass ich alles finden würde, was ich suchte – wenn ich mich nur fallen ließe …
Ich musste mich zwingen, den Blick abzuwenden und der unendlichen Leere den Rücken zuzukehren. Das Dazwischen verbindet die Menschenwelt mit den Schönen Landen, aber es ist eine gefährliche Zone, die Magie dort ist wild und ungezügelt. Es gibt viele Geschichten darüber, was passiert, wenn man sich dort verirrt, Geschichten voller Wunder und Schrecken. Und dem Tod.
Das absolute Nichts.
Über mir spannte sich ein azurblauer Himmel wie eine gigantische Schüssel. Die Sonne brannte heiß herab, und mir brach der Schweiß aus. Die Abwehrzauber, die ich in der Bäckerei absorbiert hatte, hoben schnüffelnd das Haupt, prüften diese neue, ungewohnte Umgebung. Ich schob die Hand in die Tasche meines Parkas und holte ein paar Lakritzspiralen hervor, die ich mir in den Mund stopfte. Der Zuckerschub half mir, die Zauber zu bändigen und in einen Halbschlaf zu versetzen. Es ist nicht ratsam, in dieser Welt die Magien zu vermischen, selbst ein ganz gewöhnlicher Abwehrzauber konnte sich hier in wer weiß was verwandeln.
Ich schaute mich um.
Vor mir erstreckte sich ein goldener Sandstrand, so weit das Auge reichte und darüber hinaus. Begrenzt wurde er auf der einen Seite von hohen weißen Klippen, unter deren Überhang ein sandfarbenes Zelt aufgeschlagen war – Tavishs Zuhause oder, besser gesagt, dessen derzeitiges Erscheinungsbild. Auf der anderen Seite erstreckte sich ein spiegelglattes dunkles Meer, wahrscheinlich ebenso tief wie der Abgrund.
Tavish saß im Wasser, nicht als Pferd, sondern in seiner menschlichen Erscheinungsform.
Kacke. Das war kein guter Anfang.
Er hatte sich auf die Ellbogen gestützt und die Beine ins Wasser gestreckt. Sein Gesicht gen Himmel gewandt, genoss er die Sonne. Seine flaschengrünen Dreadlocks hingen ihm lang und zottig über den Rücken, fast wie Seegras, das man zum Trocknen in der Sonne ausbreitet. Silberperlen, die in die Haarenden geflochten waren, blinkten im goldenen Licht. Er drehte sich nicht zu mir um.
Nervös schlüpfte ich aus dem Parka. Endlich eine kühle Brise. Ich hätte am liebsten auch noch die Jeans ausgezogen – das T-Shirt, das Joseph mir geliehen hatte, reichte mir fast bis zu den Knien -, nahm aber stattdessen lediglich die Baseballkappe ab und fuhr mir durch mein noch kürzer geschnittenes Haar. Ich schüttelte die viel zu großen alten Turnschuhe ab und ging dann etwa ein Dutzend Schritte über den Strand aufs Meer zu. Der Sand war angenehm warm – nicht heiß, wie er aufgrund der brennenden Sonne in der Menschenwelt gewesen wäre. Aber hier herrschten andere Gesetze, und man tat gut daran, das nicht zu vergessen.
Als ich nahe genug herangekommen war, um Tavishs Kiemen zu erkennen, die wie zarte, dunkelgrüne Spitzenfächer an seinem Hals flatterten, aber immer noch so weit von ihm und dem Wasser entfernt, dass ich mich einigermaßen sicher fühlte, blieb ich stehen.
»Hallo, Tavish.«
»Lang nicht mehr gesehen, Püppchen.«
Er drehte sich um und grinste mich über die Schulter an. Seine spitzen weißen Zähne kontrastierten mit seiner dunklen Gesichtshaut – nicht schwarz, aber dunkelgrün wie Meerespflanzen, die vom Sonnenlicht gerade noch erreicht werden.
»Hast dir ganz schön Zeit gelassen. Ich hab dich schon vor zwei Tagen erwartet.«
Ich erwiderte sein Grinsen, ich konnte nicht anders: Meine
Magie schlug Purzelbäume vor Freude, ihn zu sehen. Meine Nervosität verschwand. Ich setzte mich im Schneidersitz in den weichen Sand.
Tavish ist viele Jahrhunderte alt – wie viele, das will er nicht sagen -, sieht aber, wie die meisten Fae, nicht älter als dreißig aus. Und obwohl er einerseits sehr fremdartig – sehr fae – wirkt, kann er andererseits fast als Mensch durchgehen, auch ohne sich in einen Glamour zu hüllen. Er hat ein langes, schmales Gesicht, eine gerade römische Nase und ein spitz zulaufendes Kinn – eine
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