Der kalte Schlaf
zwischen Pam und Hilary ist nun nichts annähernd so Respektables wie Hörensagen. Es ist eine glatte Lüge. Als Erfinderin dieser Lüge kann ich versichern, dass sie keinerlei Relevanz besitzt. Die Tatsache, dass es Ihnen beiden schwerfällt, diesen Streit aus Ihrem Gedächtnis zu löschen, beweist, dass etwas ziemlich real wird, sobald man es in irgendeine Art Geschichte verwandelt – und ich habe die Details ziemlich dick aufgetragen. Man macht es dadurch real, verwandelt es in ein Objekt, wenngleich ein begriffliches Objekt. Wenn die Geschichte eine Lüge ist, ist sie gleichermaßen real und falsch, was verwirrend ist. Deshalb gedeihen Lügen und Lügner in dieser Welt. Wir glauben ihnen, weil wir es vorziehen, uns nicht verwirren zu lassen.
Normalerweise würde ich keine Lügen über die Lebenserfahrungen einer meiner Klienten verbreiten, besonders nicht in Anwesenheit der Polizei. Es war unprofessionell von mir, aber Amber ist und bleibt entschlossen, so wenig wie möglich zu sagen, und meine Absicht war, sie zu zwingen, sich an dem zu beteiligen, was wir hier zu erreichen versuchen. Teilweise war es auch ein Versuch, sie mit der Kühnheit meines Betrugs für mich zu gewinnen. Simon, vielleicht wissen Sie nicht, warum Amber Sie mehr respektiert als irgendeinen Ihrer Kollegen, aber ich weiß es, weil sie es mir erzählt hat. Sie bewundert Ihre Bereitschaft, im Dienste einer guten Sache unprofessionell zu sein. In Ambers Augen ist professionelles Verhalten eine Krücke, auf die sich nur mittelmäßig Begabte stützen. Wirklich intelligente Menschen erkennen, dass ein gewisses Maß an nicht-authentischem Verhalten unvermeidlich ist, wenn wir uns hinter unserer beruflichen Rolle verstecken, und wir uns so geben müssen, wie wir wirklich sind, wenn wir bei anderen Menschen weiterkommen wollen. Wir müssen unser wahres Ich zeigen. Mein wahres Ich war verzweifelt bestrebt, endlich aus der Sackgasse herauszukommen, und ist begeistert über den Durchbruch, den wir gerade erlebt haben. Das ist das Großartige an der Hypnotherapie. Lange passiert nichts, man hat das Gefühl, nicht weiterzukommen, und dann taucht urplötzlich eine neue Erinnerung auf.
Ich wusste, Amber würde meiner Lüge widersprechen. Ich wusste auch, dass sie sich ins Gedächtnis würde zurückrufen müssen, was tatsächlich geschehen war, um verlässliche Aussagen darüber machen zu können, was in Little Orchard nicht geschehen ist. Simon, wenn ich Sie bitten würde, mir zu erzählen, was Sie gestern Abend gemacht haben, könnten Sie erwidern: »Ich habe ferngesehen.« Ihre Erinnerung wäre sozusagen auf Autopilot. Sie könnten diese Worte sagen, ohne dass eine besonders deutliche Erinnerung dahinterstünde. Aber wenn ich Sie herausfordern und sagen würde: »Nein, das stimmt nicht, Sie sind tanzen gegangen«, würde Ihr wahrheitssuchender Instinkt rebellieren, und Ihre Erinnerungen, die Waffen, die Sie brauchen, um mich widerlegen zu können, würden stärker hervortreten. Sie haben die Nachrichten gesehen und Tee getrunken, es war ein bisschen kalt, weil die Heizung sich vor einer Stunde ausgeschaltet hatte …
Meine Lüge hat Ambers Erinnerungsvermögen gezwungen, sich am Riemen zu reißen, und jetzt haben wir neues Rohmaterial, mit dem wir arbeiten können. Schauen wir uns die neuen Daten an. Als Neil am Heiligabend erklärte, dass er ins Bett gehen wolle, antwortete Jo, sie würde noch nicht mitkommen. Sie blieb mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Bruder unten, während Neil, Amber und Luke hinaufgingen. So viel wussten wir bereits. Doch nun können wir ein zusätzliches Detail hinzufügen. Jo, Hilary und Ritchie machten den Eindruck, als würde irgendetwas sie intensiv beschäftigen. Sie hatten irgendetwas zu besprechen – etwas Wichtiges. Aus ihren Mienen war abzulesen, dass alle drei ungeduldig darauf warteten, endlich allein gelassen zu werden, um das Gespräch fortzusetzen. Amber wird vielleicht kaum glauben können, dass sie so lange gebraucht hat, sich an etwas zu erinnern, das, wie sie jetzt weiß, ein Schlüsselmoment der Zubettgeh-Szene am Heiligabend gewesen ist. Aber mich wundert das nicht.
Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass uns etwas nicht mehr einfällt. Verdrängung, Leugnung und Ablenkung sind die häufigsten. Leugnung wird oft mit Verdrängung verwechselt, aber es ist etwas völlig anderes. Wenn wir etwas verdrängt haben, haben wir ganz ehrlich keine Ahnung, dass es je passiert ist. Für unser Bewusstsein
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