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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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zur Polizei zu rennen und sie dabei durch die Luft zu schwenken wie einen Fußballschal? Ja, als ich gestern Nacht vor Ihrem Haus stand, habe ich einen Mann gesehen, der aussah, als könnte er Neil heißen. Er lungerte in den Büschen herum und hielt eine Schachtel Streichhölzer in der Hand . Neil zu verdächtigen ergibt keinen Sinn, nicht einmal für mich selbst. Wenn ich an ihn als Einzelperson denke, weiß ich, dass er nie irgendwo Feuer legen könnte, ganz besonders nicht in einem Haus, in dem sich zwei Kinder aufhalten. Nur wenn ich an Jo denke, kommen mir Zweifel wegen Neil. Jo würde ihre Drecksarbeit nicht selbst tun, wenn es nicht sein muss.
    »Der Brandstifter könnte bereits dort gewesen sein, als ich kam«, sagt Charlie. »Es ist denkbar, dass er zugesehen hat, wie ich den Umschlag durch den Briefschlitz schob.«
    »Vielleicht haben Sie ja etwas gesehen, erinnern sich aber nicht mehr daran.« Es sieht mir überhaupt nicht ähnlich, so etwas zu sagen, das weiß ich selbst. Wenn ich Fotos von Neil und Jo dabeihätte, würde ich sie Charlie Zailer zeigen, in der Hoffnung, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen? Wie ich wünschte, ich könnte mir noch den Luxus leisten, Witze über das Wecken vergrabener Erinnerungen zu machen.
    Gleich heute Morgen habe ich Ginny Saxon angerufen und mir einen Termin für morgen gesichert, von zehn bis eins, drei Stunden ohne Pause. Zweihundertzehn Pfund, plus die siebzig Pfund, die ich ihr noch von meiner abgebrochenen Sitzung am Dienstag schulde. Sie sträubte sich gegen die Idee, mir mehr als eine Stunde zu geben, bis ich ihr erklärte, dass die Dringlichkeit mehr mit Mord und Brandstiftung und weniger damit zu tun hatte, dass ich ein verwöhntes Gör war, das nicht mit seiner wöchentlichen Ein-Stunden-Ration auskommt wie jeder andere auch.
    Lieb – Grausam – Liebgrausam . Die Erinnerung an den Ort, an dem ich diese Worte gesehen habe, steckt irgendwo in mir. Sie ist nur teilweise vergraben. Ich kann das Blatt Papier vor mir sehen, die großgeschriebenen Anfangsbuchstaben …
    »Sind Sie … ausgezogen?«, fragt Charlie.
    »Vorübergehend.«
    »Wo wohnen Sie jetzt?«
    Mein Brustkorb füllt sich mit etwas Festem. Das Sprechen fällt schwer, wenn es so vieles gibt, das man versucht, nicht zu sagen. »Bei Verwandten.« Es könnte schlimmer sein. Du könntest bei Jo wohnen . »Ich muss Sie um einen Riesengefallen bitten«, platze ich heraus. Es hat wenig Sinn, so zu tun, als wäre es bedeutungslos. Es ist das Wichtigste, um das ich je jemanden gebeten habe.
    Und du bittest eine Wildfremde. Guter Plan.
    »Warum mich?«, fragt Charlie Zailer. »Sie kennen mich doch kaum.«
    Am liebsten hätte ich ihr versichert, wie wenig es bedeutet, Leute im herkömmlichen Sinn zu kennen. Ich kenne Luke, aber ich kann ihm nichts von dem Schlimmsten erzählen, das ich je getan habe. Ich kannte Sharon, und auch ihr konnte ich es nicht sagen. Ich kenne Neil – wir haben sogar etwas gemeinsam, wir fürchten uns beide vor Jo –, aber ich weiß nicht, ob er mein Verbündeter oder ein Feind ist. Ich weiß nicht, ob Veronique Coudert uns beide angelogen hat oder ob Neil mich angelogen hat.
    Es freut mich, dass Charlie »Warum mich?« gefragt hat, anstatt mir zu erzählen, wie beschäftigt sie sei und wie gering ihr Wunsch, in meine Probleme verstrickt zu werden.
    »Warum haben Sie mir die Katharine-Allen-Akte zukommen lassen, obwohl Sie gesagt hatten, Sie könnten das nicht tun?«
    Sie grinst, als ich ihr Vergehen erwähne. »Ich war sauer auf Simon. Er hat mein Notizbuch mit ins Präsidium genommen – das, was Sie gesehen haben – und es vor all seinen Kollegen herumgeschwenkt. Ich hatte ihn gebeten, es nicht zu tun, aber er hat nicht auf mich gehört. Das tut er nie. Ah, jetzt verstehe ich, warum sie mich für diesen Riesengefallen ausgesucht haben. Sie glauben, Sie hätten etwas gegen mich in der Hand. Sie können Simon gern erzählen, dass ich die Berichte und Protokolle für Sie kopiert habe.«
    »Das würde ich nie tun.« Die Frage: »Wie können Sie annehmen, dass ich so etwas tun würde?«, liegt mir auf der Zunge. Ich schlucke sie gerade noch rechtzeitig herunter. Das ist keine Frage, die man jemandem stellen kann, dem man gerade dreimal begegnet ist.
    »Lassen Sie’s«, sagt sie. »Ich habe vor, das irgendwann selbst einzusetzen. Um etwas präsentieren zu können, was ihn wirklich schockiert, wenn wir darüber streiten, wer wen besser über den Mund fahren oder über den Tisch

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