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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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entschuldigen und zahlen, immer noch die besten Feiglinge sind.
    Wem will ich hier was vormachen? Ich werde Luke nicht erzählen, wie schlecht ich mich benommen habe.
    Das tust du nie . Ich schiebe den Gedanken beiseite.
    Als ich in meinem mittlerweile eiskalten Auto sitze, lege ich die Stirn aufs Lenkrad und stöhne. Ginny hätte mit mir streiten können, aber sie hat es nicht getan. Sie war bereit, auf das Honorar für die Sitzung zu verzichten, da ich offensichtlich überzeugend rübergebracht habe, wie enttäuscht ich von ihr war. Vielleicht sollte ich ihr einen Scheck über den doppelten Betrag schicken. Nein, das würde zu verzweifelt wirken. Warum nicht gleich mein Testament ändern und alles ihr hinterlassen, vorausgesetzt, sie verspricht mir, mich nicht für das größte Arschloch zu halten, das ihr je über den Weg gelaufen ist.
    Es ist neun Minuten nach vier. Wenn ich sofort losfahre, schaffe ich es noch. Wenn ich noch zehn Minuten bleibe und den ganzen Weg nach Rawndesley gefährlich schnell fahre, auch. Und es wird keine zehn Minuten dauern, denn die Frau mit dem roten Lippenstift hat ihren Wagen ganz sicher abgeschlossen. Also sitze ich in dreißig Sekunden wieder in meinem Auto und kann nach Hause fahren.
    Ich weiß nicht, was es bedeutet . Sie hat das gesagt, als würde es sie noch mehr frustrieren als mich, dass sie die Bedeutung der Worte nicht versteht. Und es schien ihr egal zu sein, dass ich das bemerken könnte. Warum also hat sie dann bestritten, es geschrieben zu haben?
    Ohne mir zu erlauben, darüber nachzudenken, was ich tue, steige ich aus, überquere die Straße und gehe Ginnys Auffahrt hinauf, genau wie vor einer Stunde. Ich bin froh, dass es dunkel ist. Offensichtlich hat die Bezirksverwaltung von Culver Valley mehr Angst vor der Liga gegen Lichtverschmutzung als vor deren Gegnern mit ihren ständigen Petitionen für eine lückenlose Ausstattung aller Landstraßen mit Straßenlaternen. Rentner und junge Mädchen sollen schließlich die Räuber und Vergewaltiger sehen können, die auf sie lauern.
    Alles wird gut, wenn die Rote-Lippenstift-Frau nicht vergessen hat, ihren Wagen abzuschließen. Dann werde ich daran gehindert, etwas Kriminelles und Verrücktes zu tun. Gegen welches Gesetz ich wohl damit verstoße?, überlege ich. Irgendwas wie Sachbeschädigung vermutlich. Einbruch kann es nicht sein, ich breche ja keine Schlösser auf. Hausfriedensbruch vielleicht?
    Ich versuche es mit der Fahrertür. Sie geht auf. Augenblicklich fühle ich mich mehr wie eine Gesetzesbrecherin als jemals zuvor. Meine keuchenden Atemzüge hängen wie neblige Graffitis in der Luft, sichtbare Beweise dafür, dass ich an einem Ort bin, an dem ich nicht sein sollte.
    Aber schließlich habe ich lediglich eine Autotür geöffnet. Ist das so furchtbar? Ich könnte sie einfach wieder zumachen und weggehen.
    Und nie herausfinden, ob du diese Wörter tatsächlich dort gesehen hast, wo du glaubst, sie gesehen zu haben.
    Was ist, wenn sie nicht in dem Notizbuch stehen? Werde ich dann wieder annehmen, dass sie von Ginny stammen – dass sie mich doch gebeten hat, sie zu wiederholen, um es dann aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen abzustreiten?
    Das Notizbuch liegt aufgeklappt auf dem Beifahrersitz, neben den schwarzen Handschuhen. Meine Hände zittern, als ich hinüberlange und danach greife. Ich fange an, es durchzublättern. Es steht viel auf den Seiten, aber ich kann nur gelegentlich ein Wort erkennen. Der Himmel ist zu dunkel, fast so schwarz wie die mich umgebenden Felder. Im Auto ist es heller – das Licht ist angegangen, als ich die Tür geöffnet habe, aber das nützt mir nicht viel, solange ich nicht …
    Nicht darüber nachdenken. Tu’s einfach.
    Mit hämmerndem Herzen setze ich mich auf den Fahrersitz. Ich lasse die Autotür offen und meine Beine draußen in der Kälte, damit nur ein Teil meines Körpers etwas Unrechtes tut. Ich schlage das Notizbuch erneut auf. Erst kann ich mich nicht konzentrieren, weil mein aus der Kontrolle geratener Herzschlag meine Aufmerksamkeit auf sich zieht – es fühlt sich an, als würde mir gleich das Herz aus dem Mund springen. Wird man um siebzehn Uhr meine Leiche im Auto einer fremden Frau finden, gestorben an einem Herzinfarkt? Zumindest habe ich endlich meine posthypnotische Benommenheit abgeschüttelt – es geht doch nichts über ein wenig Gesetzesbrecherei, um aus der Trance herauszukommen.
    Laut Ginny gibt es so etwas wie ein Hypnose-Gefühl nicht. Ich bin keine

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