Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
Vom Netzwerk:
entfernt. Luke und ich haben unser Haus, Clavering Road 9, vor etwas über einem Jahr gekauft, damit die beiden Mädchen genügend Platz haben. Ich war entschlossen, das größte Haus zu kaufen, das ich mir leisten konnte – alles andere war zweitrangig. Ist es immer noch. Es ist mir egal, dass es mit einem grässlichen grellroten synthetischen Teppichboden ausgelegt ist oder dass alle Vorhänge verblichen und geblümt sind und so dicht hängen, dass man vor lauter Stoffbahnen kaum etwas von den Fenstern sieht. Es ist mir egal, dass wir es uns nicht leisten können, all das zu ersetzen. Aber eins liebe ich an meinem Haus: Obwohl es an einer Hauptverkehrsstraße liegt und ich mit drei anderen Personen zusammenlebe, zwei davon Kinder, finde ich immer ein ruhiges, leeres Zimmer, wenn ich eins brauche. Unser altes Haus hatte ein offenes Erdgeschoss, nur die Gästetoilette hatte eine Tür. In diesem Haus gibt es auf jedem Stockwerk Türen, die man hinter sich schließen kann. Als ich Jo erzählte, was für mich das Beste an dem Haus sei, war ihre Missbilligung offensichtlich. »Und wen willst du ausschließen?«, wollte sie wissen. Sie sprach es nicht aus, aber ich wusste, sie bezweifelt, dass ich in der Lage bin, richtig für Dinah und Nonie zu sorgen. Die heilige Jo, die glaubt, niemand könne sich so gut um andere kümmern wie sie, die nichts mehr liebt, als sich mit so vielen abhängigen Angehörigen zu umgeben wie irgend möglich.
    Ich sagte ihr die Wahrheit, der einzige Mensch, den ich ausschließen will – manchmal ausschließen muss –, bin ich selbst. Ich weiß noch, was ich genau sagte. Ich wählte meine Worte sorgfältig, um ihr Interesse zu erregen: »Das Innere meines Kopfes kann ein unwirtliches Umfeld sein. Manchmal muss ich es von den Menschen wegbringen, an denen mir liegt, um sicherzustellen, dass ich niemanden kontaminiere.« Ihre Antwort schockierte mich. »Vergiss, was ich gesagt habe«, erwiderte sie. »Ich bin nur eifersüchtig. Dinah und Nonie sind ganz erstaunliche Kinder. Du hast ja so ein Glück.« Ich lachte und sagte: »Als ob du nicht genug Leute hättest, um die du dich kümmern musst.« Erst später, als ich nachts wach lag, ging ich die Szene in Gedanken noch einmal durch und merkte, dass ich wütend auf sie war – oder vielmehr, ich stellte fest, dass ich
    wütend auf sie sein sollte, dass ich jedes Recht dazu gehabt hätte. Ich bringe viel Zeit damit zu, mich zu fragen, wie ich Jo gegenüber empfinden sollte, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ich tatsächlich empfinde.
    Sie bezeichnete mich als glücklich. Und das, obwohl sie wusste, dass meine beste Freundin tot war, obwohl sie wusste, dass Luke und ich nun wahrscheinlich nie eigene Kinder würden haben können. Sie hatte es vermieden, darauf einzugehen, was ich gesagt hatte – dass ich manchmal die Notwendigkeit empfände, mich selbst auszuschließen –, weil sie nicht wollte, dass unser Gespräch über eine oberflächliche Ebene hinausging. Das ist mittlerweile immer so. Ihre Entschlossenheit, jede wache Stunde damit zuzubringen, für mindestens zehn Leute zu kochen, ist meiner Überzeugung nach eine Vermeidungsstrategie – wer könnte von einer Frau, die in einer zu kleinen Küche herumwirtschaftet und einen Cream Tea zusammenstellt, der das Angebot des Ritz-Hotels vergleichsweise mickrig wirken lässt, schon erwarten, dass sie tiefgründige Gespräche führt?
    Ich schaue auf die Uhr. Der Bus hat Verspätung. Er hat immer Verspätung. Ein offizielles Schreiben der Schule hat uns darüber informiert, dass wir pünktlich zu erscheinen haben und darauf vorbereitet sein müssen, bis zu zwanzig Minuten zu warten, dass der Bus aber niemals auf uns warten wird. Wenn wir nicht Punkt halb fünf zur Stelle sind, werden die Kinder wieder zur Schule zurückgekarrt und in etwas untergebracht, das sich »Fun Club« nennt. Ich wurde sofort misstrauisch, als ich das las. Wenn etwas Spaß macht, muss man dort normalerweise nicht »untergebracht« werden. Ich nahm mir vor, der Schule zu schreiben und darauf hinzuweisen, dass ihr Bus eine Lektion in Geben und Nehmen nötig habe, aber Dinah war dagegen. »Du wirst dich noch wegen wichtigerer Dinge mit denen anlegen müssen«, erklärte sie mir. »Spar dir deine Energie für einen wirklich wichtigen Kampf auf.« Ich musste lächeln, weil Luke und ich das ständig zu ihr sagen. »Komm einfach rechtzeitig zum Bus. Es ist für uns einfacher, pünktlich zu sein, als für jede andere Familie in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher