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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Denn wir haben keinen Zucker im Haus.«
*
    Olivia wischte sich die Augen ab und ging in die Küche. Höchste Zeit, mit dem Weinen aufzuhören und sich eine Tasse Lapsang Souchong zu machen. Und damit aufzuhören, über Sam Kombothekras Fehlverhalten nachzugrübeln, so verlockend es auch sein mochte, mal an etwas anderes zu denken als an das, was sie selbst falsch machte, in jeder einzelnen Sekunde eines jeden Tages. Zwar verbrachte sie nicht all ihre wachen Stunden mit Chris Gibbs, aber auch wenn sie nicht mit ihm zusammen war, änderte das nichts an ihrem sündigen Status. Gibbs schien es egal zu sein, dass ihre Beziehung nicht zu rechtfertigen und potentiell katastrophal für alle Beteiligten war. Wenn sie das Thema ansprach, sagte er Dinge wie: »Es ist, wie es ist. Es hat keinen Sinn, sich zu wünschen, dass es anders wäre.« Es konnte einen rasend machen. Die Frage, ob er ein guter oder ein schlechter Mensch war, schien ihn nicht zu kümmern. Nicht dass Olivia in solchen Begriffen dachte, das wäre grob vereinfachend gewesen.
    Sie war nie zuvor einem Mann begegnet, der sich so sehr für sie interessierte, aber so wenig Interesse an sich selbst hatte. Er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte, aber einmal hatte er ihr gesagt, dass er sie anbetete. An sich wäre das ja reizend, aber eins verunsicherte sie doch. Wenn sie versuchte, sich zu revanchieren, indem sie ihm Komplimente machte, starrte er sie nur verwirrt an. Als würde sie über jemanden reden, den er überhaupt nicht kannte. Er wollte sich nicht selbst ins Scheinwerferlicht seiner Gedanken stellen, also konnte er sein eigenes Verhalten weder erklären noch analysieren – praktisch für ihn. Er machte regelmäßig Anspielungen auf die Zukunft – eine Zukunft, in der er und Olivia zusammen waren und in der es weder ihre jeweiligen Partner noch irgendwelche Kinder gab, aber wenn Olivia wissen wollte, wie dieser Zustand erreicht werden könnte, zuckte Gibbs nur die Achseln, als hätte dieser Teil der Angelegenheit nichts mit ihm zu tun.
    Und es musste bald irgendwas geschehen. Er würde demnächst Vater werden. Das musste doch sicher auch für ihn alles ändern? Und von Olivia wurde erwartet, dass sie in Kürze Dominic Lund heiratete, der nebenan vor dem Fernseher saß, juristische Unterlagen studierte und keine Ahnung hatte, dass seine Verlobte ihn seit fünf Monaten betrog. Ich könnte etwas in Bewegung setzen, dachte Olivia. Aber ganz gleich, wie oft sie das wiederholte, sie glaubte nicht daran. Sie hatte nicht das Gefühl, die Macht oder das Recht zu haben, zu entscheiden, welchen Verlauf ihr Leben nehmen würde. Alles, was sie tat, würde möglicherweise alles nur noch verschlimmern.
    Als junge Frau wäre sie fast an einer Krankheit gestorben, die jenseits ihrer Kontrolle lag. Sie hatte überlebt, aber das hatten andere bewirkt, nicht sie selbst. Seit damals konnte Olivia die Überzeugung nicht abschütteln, dass nichts, was sie tat, irgendeinen Unterschied machen würde. Es war egal, was sie tat oder nicht tat. Sie war kein Mensch, den die Welt bemerkte oder an dem ihr etwas lag. Charlie schon, Simon auch. Sie brauchten nur zu blinzeln, und die Welt um sie herum arrangierte sich neu. Als Charlie vor ein paar Jahren eine höchst unkluge Affäre gehabt hatte, hatten sämtliche landesweiten Zeitungen darüber berichtet.
    Übte Olivia deshalb, wie man andere Leute wütend machte? Um sich selbst zu beweisen, dass sie doch irgendeinen Einfluss besaß?
    Dom tauchte in der Küche auf, ein leeres Weinglas in der Hand. »Hast du vor, mir zu erzählen, warum du weinst?«, fragte er.
    »Jemand hat mich angebrüllt, obwohl ich nur versucht habe, ihm zu helfen«, sagte Olivia.
    Dom grinste und griff nach der Weinflasche, die auf dem Küchentisch stand. »Kaum überraschend. Ich habe gesehen, was passiert, wenn du Leuten helfen willst.«
    »Kann ich dich mal was fragen?«
    »Ich habe zu tun, Liv.« Leise murmelte er: »… wusste ja, dass es ein Fehler war, hier reinzukommen.«
    »Es wird nicht lange dauern. Bitte.« Er war nicht das ideale Publikum, aber ein anderes hatte sie nicht. Eigentlich hatte sie Gibbs mit ihrer Theorie beeindrucken wollen, aber das hatte sie ja ruiniert, indem sie zuerst zu Sam gegangen war, weil sie sich der Brillanz ihres Beitrags nicht sicher genug war und erst das Feedback eines Experten haben wollte. Und jetzt würde sie lieber einen Eimer abgeschnittener Zehennägel verspeisen, als je

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