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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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sie dabei war, sich mitreißen zu lassen – etwas, was sie besser konnte als alle ihre Bekannten, besser sogar als Simon Waterhouse –, aber es würde sie in den Wahnsinn treiben, wenn sie ihrer Idee nicht nachging. Ein Telefonat, mehr wäre nicht nötig. Oder, wenn sie Glück hatte und nicht meilenweit danebenlag, ein paar Telefonate. Und ein wenig Schauspielerei.
    Sie würde es gleich morgen früh in Angriff nehmen.
*
    Sam, der mittlerweile überzeugt war, dass Ritchie Baker zu träge war, um etwas so Arbeitsintensives in Angriff zu nehmen wie einen Mord, stellte ihm die Frage, die Simon ihm vor weniger als einer Minute per SMS geschickt hatte, versehen mit dem Wort DRINGEND in Großbuchstaben. »Woran ist Pam Utting gestorben?«
    »An Leberkrebs. Also, in der Leber fing es an. Es wurde früh erkannt, man dachte, sie hätten alles rausgenommen, dann kehrte es zurück, und es gab überall Metastasen. Hören Sie, würde es Ihnen was ausmachen, über was anderes zu reden als über Tod und Krankheit?« Ritchie legte eine Hand auf seinen Bauch. »Mir geht’s wirklich ziemlich mies. Ich habe die halbe Nacht und den Großteil des heutigen Tages auf dem Klo verbracht.«
    Sam bezweifelte das nicht. Die Wohnung stank. Es hätte geholfen, die Fenster zu öffnen, aber das konnte man als Besucher ja schlecht vorschlagen. Außerdem war es kalt draußen – es schneite. Sam tat sein Bestes, nicht durch die Nase zu atmen, was dazu führte, dass es sich anhörte, als wäre sie verstopft. Wenn Ritchie fragen sollte, konnte er vorgeben, eine Erkältung zu haben, aber Ritchie würde nicht fragen. Er hatte bislang keine einzige Frage gestellt und war offenbar zufrieden damit, Fragen zu beantworten. Ideal für eine Vernehmung. Nur dass seine Passivität seltsam ansteckend war. Wenn Sam nicht aufpasste, würde das Gespräch sich bald totlaufen und in beiderseitigem matten Schweigen enden.
    Die Wohnung war eine schäbige Junggesellenbude. Alles in Sams Blickfeld, das aus Stoff bestand, war zerknittert oder zusammengeknüllt – das Geschirrhandtuch, das an einem Haken an der Tür hing, Bettdecke und Bettlaken, Ritchies Kleidungsstücke, die überall herumlagen, hauptsächlich schwarze T-Shirts mit keltischen Symbolen darauf und schwarze Jeans, das Badehandtuch, das auf dem Boden lag. Dünne, zusammengeknüllte Teppiche schienen wahllos im Raum verteilt zu sein, die Fransen, die früher einmal weiß gewesen sein mussten, waren zu grauen Klumpen verfilzt. Selbst der bunte Wollfilz-Wandbehang, mit Kindern darauf, die um einen Brunnen tanzten, war zerknittert und hing in einem seltsamen Winkel an der Wand.
    Abgesehen vom Badezimmer, und Sam verspürte keinen Wunsch, das zu inspizieren, lebte Ritchie Baker in einem einzigen großen Raum. Spüle, Herd und Küchenschränke waren unter den Fenstern aufgereiht, die Schlafzimmer-Ecke wurde durch zwei ungeschickt aufgestellte Kleiderschränke markiert, die im rechten Winkel zueinander standen. Die Nische, in der ein Computer stand, wurde vom Vermieter vermutlich als Arbeitsbereich bezeichnet. Stühle ohne Armlehnen, die im Kreis standen, teilten den Wohnzimmer-Bereich ab. Wenn ein Besucher sich irgendwo anders hätte hinsetzen wollen als auf Ritchies Bett, hätte er das Stuhlarrangement zerstören müssen. Also hatte Sam dafür optiert, lieber stehen zu bleiben.
    Er schrieb »Leberkrebs« in sein Notizbuch. War das detailliert genug für Simon? Vermutlich nicht. »Früh erkannt, operiert, kehrte zurück, überall Metastasen«, notierte er.
    Es gab eine Zeit, in der es ihn gestört hätte, nicht zu wissen, wer Pam Utting war oder warum er sich nach ihr erkundigen sollte. Utting war der Nachname von Amber Hewerdines Mann Luke, also war Pam vermutlich eine Verwandte von ihm. Vermutlich die Mutter. Was, wenn überhaupt etwas, hatte sie mit den Ermittlungen im Fall Kat Allen zu tun? Wie passte Ritchie Baker ins Bild oder seine Schwester Johannah? Sam wusste nur, dass er den Mord an einer jungen Frau untersucht hatte, und jetzt kamen von allen Seiten irgendwelche Morde und versuchte Morde dazu, die angeblich damit in Verbindung standen. Er bemühte sich vergebens, sie als Spuren im ursprünglichen Mordfall zu sehen, auch wenn Simon überzeugt war, dass sie das waren. Kat Allen – der Name kam ihm schon ganz fern vor, es war zu lange her, und zu viele Leute hatten sich dazwischengedrängt, das konnte nicht gut sein.
    »Vielleicht habe ich eben unbeabsichtigt gelogen«, sagte Ritchie sachlich, als

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