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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
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der Schule«, fügte sie hinzu. Sie hörte sich an wie eine Schulleiterin. Ich gab nach, weil ich so erleichtert war, dass sie uns als Familie bezeichnete.
    Als wir unser Haus kauften, ahnten Luke und ich nicht, dass der Schulbus der Mädchen praktisch vor der Tür halten würde. Als wir es herausfanden, sagte Luke: »Das ist ein Zeichen. Es muss ein Zeichen sein. Jemand ist auf unserer Seite.« Auf deiner vielleicht, dachte ich. Die Art Jemand, die er im Sinn hatte, würde Zugang zu Informationen über mich haben, die mit ziemlicher Sicherheit den Entzug jedweder übernatürlicher Unterstützung zur Folge haben würde. Das konnte ich Luke natürlich nicht sagen, und voller Wut darüber, mit einem Geheimnis belastet zu sein, das ich hasste und von dem ich wünschte, es würde verschwinden, fuhr ich ihn unfairerweise an: »Vielleicht derselbe Jemand, der Sharon hat sterben lassen?« Er entschuldigte sich. Ich nicht. Habe ich immer noch nicht.
    Noch eine glückliche Erinnerung. Ginny Saxon wäre stolz.
    Ich kann mich bei fremden Leuten entschuldigen und ihnen sogar Schecks über siebzig Pfund schicken, nachdem ich ihnen an den Kopf geworfen habe, sie hätten das Geld nicht verdient, aber bei meinem eigenen Mann kann ich mich nicht entschuldigen, nicht mehr. Ich würde mir vorkommen wie eine Heuchlerin. Jedes »Entschuldige« wäre nichts weiter als ein Vorwand, um diese eine Entschuldigung nicht aussprechen zu müssen, die Entschuldigung, die ich niemals werde vorbringen können.
    Die Hypnotherapie bekommt mir nicht, stelle ich fest. Ich brauche etwas, das mich aus meiner unaufhörlich brodelnden inneren Welt herauszieht, anstatt mich noch tiefer hineinzustürzen.
    Noch nie hatte ich weniger Lust auf höfliche Konversation, folglich diktiert das Gesetz, nach dem schiefgeht, was schiefgehen kann, dass heute drei Mütter an der Ecke stehen und auf den Bus warten. Normalerweise steht dort nur eine, und die ignoriert mich, weil ich einmal das Falsche gesagt habe. Ich habe vergessen, wie sie und ihr zottelhaariges Kind heißen, aber ich nenne sie BOM –
    »biologisch-organischer Müsliriegel«. Sie bringt jeden Nachmittag einen dieser Riegel für ihren Sohn mit, dessen Haar, wie sie mir einmal erzählte, noch nie geschnitten wurde. Sie kann nämlich den Gedanken nicht ertragen, irgendeinen kostbaren Teil von ihm mutwillig zu zerstören, obwohl er sich vollkommen wohlfühlt, so wie er ist. Warum sollte sie auch, nur wegen der Konventionen irgendwelcher bigotter Leute zuliebe? Sie hielt mich fast eine Viertelstunde mit dieser ausführlichen Erläuterung auf, die schließlich in ein Manifest zur Neudefinition der Genderrollen ausartete, und das alles, obwohl ich höflich genug gewesen war, mich nicht zu erkundigen, warum ihr Sohn aussehe wie ein Bettvorleger aus Schaffell.
    Bevor sie zu dem Schluss kam, dass es sich nicht lohne, mit mir zu diskutieren. Aber bis zu diesem Punkt hatte ich bereits viel darüber erfahren, was Elternschaft ausmacht. Es scheint ziemlich einfach zu sein: Wenn man ein Kind hat, das sich aufführt wie ein Wilder, lenkt man die Aufmerksamkeit von seinen Unzulänglichkeiten ab, indem man die Lehrer beschuldigt, es zu »pathologisieren« und nicht auf seine individuellen Bedürfnisse einzugehen, insbesondere, wenn es zu diesen Bedürfnissen gehört, andere Kinder mit einer Gabel ins Auge zu stechen. Wenn dein Sohn einen Test verhaut, beschuldige die Schule, zu ergebnisorientiert zu sein. Ist er faul und behauptet, dass er alles langweilig findet, gib der Lehrerin die Schuld, weil sie ihn nicht richtig fördert und den Unterricht nicht anregend genug gestaltet. Wenn dein Kind nicht besonders helle ist, hat die Schule es versäumt, eine »Wissenslücke« zu erkennen und zu beseitigen. Besonders wichtig: die Ächtung von jedem, der anzudeuten wagt, dass manche Lücken – sprich: die Lücken bei intelligenten Kindern – leichter zu beseitigen sind als andere und dass es Fälle gibt, bei denen die Lehrer rein hypothetisch bis in alle Ewigkeit versuchen könnten, ein paar grundlegende Kenntnisse in den klaffenden Abgrund zu schaufeln, die aber wegen des dort herrschenden ungünstigen Mikroklimas aus massiver Dummheit niemals Fuß fassen können.
    Gut, das hätte ich wahrscheinlich nicht sagen sollen, aber ich hatte einen langen Tag hinter mir, und meine Freiheit war mir zu Kopf gestiegen – die Freiheit, nur Vormund meiner Kinder zu sein und nicht deren Mutter. Daher habe ich nämlich keine Schwierigkeiten
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