Der kalte Schlaf
versuchten. Verkehrsüberwachungskameras haben in der Nacht auf Donnerstag Ihr Fahrzeug aufgenommen, als Sie zu Ambers Haus fuhren, um Ihr zweites Feuer zu legen. Es sind gute Aufnahmen, von verschiedenen Kameras. Mindestens einmal haben Sie angehalten, um mit Ihrem iPhone Ambers Mail-Anfrage wegen Little Orchard zu beantworten.«
»Das Belastungsmaterial sind wir doch bereits durchgegangen«, erklärte die Anwältin in gelangweiltem Ton.
»Aber wir haben noch nicht über das Motiv gesprochen«, sagte Simon. »Und es sind die Motive, die mich am meisten interessieren. Amber denkt, die Brandstiftung war eine Warnung«, fügte er an Jo gewandt hinzu. »Sie kam am Mittwoch, den ersten Dezember, zu Ihnen, und bei dieser Gelegenheit erzählte sie, dass sie in Zusammenhang mit dem Mord an Kat Allen von der Polizei vernommen worden war. Dann fragte sie auch noch Ihren Mann Neil nach Little Orchard und erklärte, sie und Luke hätten vor, das Haus mal wieder zu mieten. Wenn Sie, nur ein paar Stunden nach diesen beiden Gesprächen, Ambers Haus anzünden, was sollte das sonst sein als eine Warnung? Es ist verständlich, dass Amber es so sehen musste. Aber sie irrt sich. Es war keine Warnung, es war Rache. Wilde Wut, Eifersucht, wie immer Sie es nennen wollen.«
Jos Augenlider flatterten und schlossen sich.
»Sie haben an diesem Mittwoch einen schweren Schock erlitten. Amber hat Ihnen etwas erzählt, was Sie nicht wussten, etwas, mit dem Sie nicht gerechnet haben. Das, was Sie da hörten, brachte Sie dazu, Ihre Schwägerin zu hassen, ganz besonders, wenn sie daran dachten, dass Amber, Luke und die beiden Mädchen glücklich bis ans Ende ihrer Tage zusammenleben würden: Die perfekte Familie, eine Familie, die Sie selbst geschaffen hatten, indem Sie Sharon ermordeten. Unnötigerweise, wie sich herausgestellt hatte.«
»Was meinen Sie damit, unnötigerweise?«, fragte die Anwältin.
Simon beschloss, dass es an der Zeit war, sich an die einzige Person zu wenden, die ihm tatsächlich zuhörte. »Amber dachte, Jo sei eifersüchtig, weil sie Sharons Kinder bekommen hatte, und damit hatte sie Recht. Jo hatte das Risiko auf sich genommen und einen Mord begangen, weil sie glaubte, sie habe keine andere Wahl. Und Amber, die nichts getan hatte und es auch nicht verdient hatte, bekam Dinah und Nonie. Jo wollte die beiden nicht – sie hat selbst Kinder –, aber trotzdem nahm sie es Amber übel, dass sie etwas bekommen hatte, ohne es verdient zu haben. Ich möchte Ihnen gerne etwas über das Ungeheuer erzählen, das Sie vertreten. Nichts lässt ihr böses Herz so vor Neid überkochen wie eine perfekte Familie.«
»Bitte.« Die Anwältin zuckte zurück, als hätte Simon etwas Geschmackloses gesagt. »Es besteht kein Anlass zu überzogenen Formulierungen.«
»Schön, nennen wir sie Ihre Mandantin«, sagte Simon. »In den Augen Ihrer Mandantin hat Amber gewonnen und sie verloren. Nicht weil Amber irgendetwas hätte, was sie nicht hat. Ganz im Gegenteil, Amber hat etwas nicht und wird es auch nie haben, was Ihre Mandantin hat und von dem sie wünscht, sie hätte es nicht.«
Er merkte, dass die Anwältin nicht begriff, und bemühte sich, seine Ungeduld zu zügeln. Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte Jo Utting gestern zum ersten Mal gesehen, hatte noch nicht die ganze Geschichte gehört.
»Jo und Amber haben einen gemeinsamen Schwiegervater«, sagte er. »Quentin. Körperlich fehlt ihm nichts, aber in allen praktischen Belangen und psychisch ist er so abhängig wie ein kleines Kind. Er kam nicht alleine zurecht, nachdem seine Frau Pam gestorben war. Jo und Neil haben ihn zu sich genommen und leiden seitdem. Ich habe diesen Mann getroffen. Glauben Sie mir, Sie würden auch nicht wollen, dass er bei Ihnen wohnt.«
»Ich würde nicht wollen, dass irgendein Mann bei mir wohnt«, bemerkte die Anwältin und musterte Simon von oben bis unten. Er verstand die Botschaft. Ganz besonders Sie nicht.
»Am Mittwoch, den ersten Dezember, sagte Amber zu Jo, sie sei eine Heilige, weil sie es mit diesem Mann aushalte. Jo entgegnete, sie habe ja keine andere Wahl gehabt, als ihn bei sich aufzunehmen, und fügte hinzu, Amber hätte sicherlich genauso gehandelt, wenn es nicht anders gegangen wäre. Amber stellte jedoch klar, dass sie Quentin unter keinen Umständen je unter ihrem Dach geduldet hätte, und wenn er hundertmal nicht allein zurechtkomme, und auch wenn sie sich nicht schon um Dinah und Nonie hätte kümmern müssen. Nie wäre sie bereit
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