Der kalte Schlaf
strafte diese Worte Lügen. »Sie haben die Beweismittel, und gestern hat sie ein Geständnis abgelegt. Seitdem schweigt sie.«
»Amber wollte nicht, dass Sie und Sharon sich kennenlernen«, fuhr Simon fort, als wären er und Jo allein im Raum. »Sie hat getan, was sie konnte, um ein Zusammentreffen zu verhindern. Sie hatte Angst, Sie könnten Sharon erzählen, dass Luke nicht wusste, dass er im Fall ihres Todes Dinah und Nonie würde aufnehmen müssen. Aber darüber hätte sie sich keine Gedanken zu machen brauchen.«
Er genoss Vernehmungen wie diese, Vernehmungen der Art, die Sam Kombothekra hasste, bei denen man sich an einen Beschuldigten richtete, der so tat, als wäre man gar nicht da, während man die Kommentare des verärgerten Rechtsbeistands ausblendete, indem man so tat, als sei er nicht da. Eine ausreichend komplexe Situation, um hellwach zu bleiben und bei der keine Gefahr bestand, dass irgendjemand den Blick eines anderen erwidern könnte.
»Sie hätten Sharon niemals erzählt, dass Amber sie im Stich gelassen hatte. Was, wenn sie dann so verärgert gewesen wäre, dass sie ihr Testament geändert hätte? Denn für Ihren Plan war es absolut unabdingbar, dass die beiden Mädchen zu Amber kommen würden, wenn Sharon starb. Sonst wäre alles in sich zusammengefallen.«
War da ein Flackern in Jos Augen? Wie sehr brannte sie darauf zu erfahren, ob Simon ihr Geheimnis kannte? Bei ihrer Festnahme hatte sie keinen Zweifel daran gelassen, wie egal es ihr war, dass er wusste, dass sie zwei Menschen ermordet und versucht hatte, vier weitere umzubringen. Das war für Jo Utting nicht das Entscheidende. Nein, die Verbrechen, die sie begangen hatte, das, was ihr bewiesen werden konnte, würde sie notfalls zugeben. Aber trotz ihres unbewegten Äußeren musste sie wie auf glühenden Kohlen sitzen, weil sie nicht wusste, ob auch der Teil der Wahrheit ans Licht gekommen war, den sie unter allen Umständen verbergen wollte, obwohl ihr eine lebenslängliche Freiheitsstrafe drohte. Simon beschloss, Jo Utting erst einmal zappeln zu lassen.
»Kehren wir zu der Frage zurück, wie Sie sich den Schlüssel zu Sharons Haus besorgt haben«, sagte er. »Amber zufolge haben Sie früher immer versucht, sie zu überreden, Sharon mal zum Essen mitzubringen. Sie konnten den Gedanken nicht ertragen, dass Amber eine beste Freundin hatte, die Sie nicht kannten. Da die Gefühle und Bedürfnisse anderer Sie nicht interessieren, werden Sie nicht verstanden haben, warum Amber nicht wollte, dass Sie und Sharon zusammentreffen. Denn Sie wussten ja, dass Sie Sharon nicht erzählen würden, dass Amber ihr Versprechen gebrochen hatte. Deshalb kamen Sie gar nicht auf den Gedanken, dass es genau das war, was Amber fürchtete.«
»Was wollen Sie damit erreichen, DC Waterhouse?«, fragte Jos Anwältin. Simon ignorierte sie. Ihr Name war ihm mitgeteilt worden, aber er hatte beschlossen, ihn sich nicht zu merken.
»Ich glaube, Sie haben eines Tages bei Sharon vorbeigeschaut, als Sie wussten, dass die Kinder nicht zu Hause sein würden. Sie wussten, dass sie an jenem Tag bei Amber waren, nicht wahr? Sie haben sich Sharon unter einem anderen Namen vorgestellt – als Veronique Coudert? Oder kam Ihnen der Gedanke, diesen Namen zu verwenden, erst, als Sie Ambers E-Mail mit der Anfrage wegen Little Orchard erhielten? Auf jeden Fall werden Sie einen falschen Namen benutzt haben. Sie konnten nicht riskieren, dass Sharon Ihren richtigen Namen erfuhr. Denn Sie wussten ganz genau, dass die Polizei mit allen Leuten würde reden wollen, die Kontakt zu ihr gehabt hatten, wenn Sie Ihren Plan erst einmal in die Tat umgesetzt hätten. Sie hatten sich genau überlegt, wie Sie es machen wollten, wie ein Feigling, ohne direkten körperlichen Kontakt und verkleidet. Unter einem Vorwand und unter falschem Namen haben Sie sich in Sharons Haus eingeschlichen. Vermutlich haben Sie die unendliche Saga von Terry Bonds Pub und der Anwohnerinitiative als Vorwand benutzt, um mit Sharon ins Gespräch zu kommen. Vielleicht haben Sie sich auch als neue Nachbarin vorgestellt, die sich darüber informieren wollte. Oder haben Sie behauptet, Sie kämen von der Stadtverwaltung? Jemand vom Gewerbeaufsichtsamt?«
Die Anwältin seufzte schwer. »Ich hoffe, Sie betrachten das Schweigen meiner Mandantin nicht als stillschweigende Zustimmung«, warf sie ein. »Schweigen ist Schweigen. Es bedeutet gar nichts, und es führt uns nirgendwohin.«
»Sie hatten nichts zu befürchten, denn Sie
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