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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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weil sie Hilfe braucht, obwohl sie ja weiß, dass ich das ebenfalls getan habe.
    »Wenn die Ermittler, mit denen ich gesprochen habe, nicht gelogen haben, bin ich ihre einzige Spur«, sage ich. »Es wäre also kaum auch gut , wenn ich es nie herausfinde, nicht wahr? Ich würde den Rest meines Lebens damit zubringen, mich zu fragen, ob ein Mörder, der ins Gefängnis gehört, dank meines beschissenen Gedächtnisses selbstzufrieden herumspaziert.«
    Ich warte darauf, dass sie mir versichert, ich sei nicht verantwortlich für das, was geschehen oder nicht geschehen wird, ganz gleich, was es ist, aber sie grinst nur. Ich bin enttäuscht und erleichtert. Wenn es ihr Spaß macht, mir dabei zuzuhören, wie ich mich selbst fertigmache, habe ich noch mehr zu bieten. Ich könnte wochenlang für ihre Unterhaltung sorgen. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich die Hälfte meines Lebens damit zubringen, mit wohlmeinenden Leuten wie Luke oder meinem Team zu diskutieren, die wollen, dass ich nicht so hart zu mir selbst bin. Sie scheinen nicht zu begreifen, dass ich das nicht kann. Denn wenn ich mich selbst entschuldige, wann immer mir danach ist, was könnte dann meine Einschätzung von anderen Leuten rechtfertigen? Ich kann ja schließlich nicht von jedem gut denken, dem ich begegne. Die meisten Menschen sind nervtötende Idioten. Und es ist doch wohl nur fair, wenn ich mich selbst ebenso hart beurteile, wie ich andere beurteile.
    Mir erscheint das plausibel.
    »Warum sollte man nicht versuchen, sich zu erinnern?«, frage ich. »Schön, vielleicht klappt es nicht, aber es steigen mehr Dinge an die Oberfläche, wenn man im Wasser herumstochert, als wenn man es sein lässt.«
    »Offenbar nicht. Laut Ginny verprellt ein entschlossener Versuch die echten Erinnerungen. Hat was damit zu tun, dass unser Bewusstsein das verscheucht, was wir im Unterbewusstsein gespeichert haben, was all die verdrängten Sachen zwingt, sich noch tiefer zu vergraben.« Sergeant Zailer schaut mich an und wendet dabei den Blick von der Straße ab. »Finden Sie, dass das plausibel klingt?«
    Darüber muss ich nicht lange nachdenken. »Nein. Nur wenn man glaubt, dass das Unterbewusstsein so etwas wie eine psychische Strafanstalt ist: ein Speicher mit eingebautem Gremium, das über die Gewährung von Hafturlaub entscheidet, darüber, was drinnen bleibt und was raus kann. Wenn ein Hirnchirurg Ihr Gehirn aufschneiden würde oder meins, könnte er dann auf das Unbewusste deuten und sagen, da haben wir’s ja, zwischen der Hirnanhangsdrüse und der … Patella?«
    »Ich glaube, die Patella ist die Kniescheibe«, sagt Sergeant Zailer so entschuldigend, als könnte mich das kränken.
    »Existiert das Unbewusste wirklich? Gibt es vergrabene Erinnerungen, von denen niemand weiß, dass sie existieren, wie mottenzerfressene Kleider ganz hinten im Kleiderschrank?« Wahrscheinlich sollte ich aufhören, sie zuzutexten, wenn ich will, dass sie mich bis zur Haustür bringt. Ach, scheiß drauf. »Sagen wir, mir fällt morgen wieder ein, wo ich dieses Blatt Papier gesehen habe. Erinnern ist ein geistiger Prozess, der neue Gedanken entstehen lässt, Gedanken über Erfahrungen, die wir früher gemacht haben. Das ist nicht dasselbe wie die Annahme, meine Erinnerung an das Blatt Papier mit diesen Wörtern darauf sei jetzt in diesem Moment in mir gespeichert, abgelegt in einem Behälter, genannt ›das Unbewusste‹, den ich zwar nicht öffnen kann, in dem die Erinnerung aber darauf wartet, herausgezogen zu werden.«
    Sergeant Zailer lächelt wieder. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«, fragt sie und öffnet das Fenster.
    Ich schüttle den Kopf.
    Sie zündet sich eine Zigarette an und bläst den Rauch in die Nacht hinaus. »Wie kalt ist es?«, fragt sie.
    »Was?«
    »Draußen, hier drin. Ist es kalt? Ist es warm? Hatte es irgendwelche Auswirkungen auf die Temperatur im Auto, dass ich das Fenster geöffnet habe?«
    Ich weiß nicht, was sie meint. Dann wird mir klar, dass sie genau das meinen muss, was sie sagt. Es gibt keine andere Bedeutung, die ihre Worte haben könnten.
    »Ich weiß nicht«, sage ich, kurz bevor ich erkenne, dass das Fenster nicht nur einen Spalt weit geöffnet ist, sie hat die Scheibe ganz heruntergelassen. Das Auto ist sowieso total verqualmt, die Mühe hätte sie sich sparen können. Mein Körper wählt diesen Moment, um mich daran zu erinnern, dass es ihn gibt, indem er zu zittern beginnt. Sinneseindrücke überwältigen mich, alle sind sie

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