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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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hatte den größten Teil der Nacht wachgelegen und sich überlegt, wie er vorgehen sollte. Proust würde sicher darauf bestehen, dass er nach seiner Kündigung bis zum letzten Tag arbeitete, weil er wusste, es würde das Letzte sein, was Sam wollte. Aber für Sam war das heute sein letzter Arbeitstag, und er war entschlossen, ihn nicht unnütz verstreichen zu lassen. Er würde alle anderen Fälle für die nächsten Stunden auf Eis legen und sich ausschließlich auf den Mordfall Katharine Allen konzentrieren.
    Ja, er würde die Amber-Hewerdine-Spur verfolgen. Nicht, weil Sam fürchtete, sich sonst Simons Unwillen zuzuziehen, oder um Proust irgendwas zu beweisen, sondern weil es auf der Hand lag. Simon hatte die Sache falsch angepackt, aber er hatte Recht: Amber Hewerdine war eine wichtige Spur, und viel Auswahl hatten sie ja nicht. Sam konnte sich nicht erinnern, jemals so wenig Anhaltspunkte gehabt zu haben.
    »Als ich Hewerdine vor ihrer Haustür antraf, hatte sie ihre beiden Töchter bei sich«, sagte Gibbs. »Und ihre ersten Worte waren: Die Kinder dürfen auf keine Fall merken, dass Sie von der Polizei sind. Es klang, als wäre Polizei ein Schimpfwort. Ihre Einstellung hat mich genervt, aber erst mitten in der Nacht kam ich darauf, mir die Frage zu stellen, die ich mir sofort hätte stellen sollen: Warum sollte es ihr etwas ausmachen, dass ihre Töchter mitkriegen, dass sie mit jemandem von der Polizei spricht? Deutet kaum auf Unschuld hin, oder?«
    »Es sind nicht ihre Töchter«, sagte Sam, womit er den erhofften Effekt erzielte. Es fiel ihm auf, weil seine Worte normalerweise so wenig Eindruck machten. Simon und der Schneemann stahlen ihm immer die Schau.
    »Sie machen wohl Witze. Wer sind die beiden dann? Sie nannte sie ›meine Kinder‹.«
    »Dinah und Oenone Lendrim.«
    »In-own-y? Was zum Teufel soll denn das für ein Name sein?«
    »Stammt aus der griechischen Mythologie.« Sam lächelte, denn ihm war klar, Gibbs würde annehmen, dass er das wusste, weil sein Vater Grieche war. »Sie wird Nonie genannt. Sie und ihre Schwester Dinah sind die Töchter von Sharon Lendrim.«
    »Sollte ich den Namen kennen?«, fragte Gibbs.
    »Ich dachte, er kommt Ihnen vielleicht bekannt vor. Keine Sorge, mir sagte er auch nichts. Sharon Lendrim wurde am 22. November 2008 ermordet. In Rawndesley. Ungelöster Fall.«
    »Und Amber Hewerdine hat ihre Kinder?« Gibbs schüttelte den Kopf, während er diese neue Information verarbeitete. »Das ist … ich weiß nicht, was es ist, aber irgendwas ist es. Weiß Waterhouse das schon?«
    Die Frage überraschte Sam nicht. Trotz seiner Unhöflichkeit und Unberechenbarkeit war Simon das menschliche Intelligenzsystem, in das alle relevanten Informationen eingegeben werden mussten. Gibbs verehrte ihn. Proust auch, wie Sam glaubte, auf eine seltsame Art und Weise. Nichts zählte, solange Simon es nicht wusste. Es war sinnlos, über irgendein Problem nachzudenken, solange Simon nicht ebenfalls darüber nachdachte und die anderen mitzog. Sam hatte sich jahrelang vorgemacht, dass dem nicht so wäre, und er war die Lüge leid. Simon war nur dem Rang nach sein Untergebener. Eigentlich wäre es besser für Sam, sich davonzumachen und etwas völlig anderes zu tun.
    »Er geht nicht ans Telefon«, teilte er Gibbs mit. »Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen. Und … ich muss hier raus.« Er stand auf und fragte sich, was ihn geritten hatte. Was wollte er in Prousts Unglücks-Kasten? »Wie wär’s mit einem Bier in der Brown Cow?«
    »Klingt gut«, sagte Gibbs. »Ich hinterlasse Sellers eine Nachricht. Wo ist er, wissen Sie das?«
    Sam hatte mehr als einmal in den vergangenen Monaten nicht gewusst, wo sich die einzelnen Mitglieder seines Teams aufhielten. »Ich habe ihn losgeschickt, um mit Ginny Saxon zu reden. Wahrscheinlich reine Zeitverschwendung.«
    »Weiß man nie, solange man’s nicht probiert hat, oder?«
    Gibbs marschierte voran, als sie das Präsidium verließen. Er war ein grantiger Stinkstiefel, aber in letzter Zeit war er dazu übergegangen, Sam immer wieder zu loben. Sie haben Ihr Bestes getan, Sarge. Guter Gedanke, Kumpel . Colin Sellers tat das auch, Simon ebenfalls. Als wäre Sam ein schüchterner neuer Rekrut mit einem Selbstsicherheitsdefizit. Wenn er so darüber nachdachte, fühlte es sich tatsächlich die meiste Zeit so an.
    »Hat wohl keinen Sinn zu fragen, wo Waterhouse ist«, stellte Gibbs fest, als sie an der Bar standen und zwischen lauten Anzugträgern mit Krawatte auf

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