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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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verschwunden, du, Jo und die Kinder? Was ist passiert?«
    Ich hab’s getan. Ich habe die Frage gestellt und nichts Furchtbares ist passiert. Noch nicht. Ein bellendes Lachen entschlüpft meinem Mund, das sogar in meinen eigenen Ohren seltsam klingt. »Entschuldige«, sage ich. »Es ist nur so, dass ich das seit Jahren fragen wollte. Ich habe mich bloß nie getraut.«
    »Ich auch nicht«, sagt Neil linkisch und blickt auf seine Füße, mit denen er stampft, um sie warm zu halten. Ich spüre die Kälte nicht, mein Zorn heizt mich von innen auf. »Mich nicht getraut, meine ich.«
    »Was …?« Ich verstumme. Ich weiß, was gleich kommen wird, und es schockiert mich, dass ich diese Möglichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezogen habe – nicht ein einziges Mal, und sei es noch so flüchtig. »Du weißt nicht, warum ihr verschwunden seid, oder?«
    Neil schüttelt den Kopf. »Ich ging an jenem Abend vor Jo ins Bett, weißt du noch? Plötzlich rüttelte sie mich wach und sagte, wir müssten die Kinder holen und gehen. Als ich wissen wollte warum, hat sie …« Er unterbricht sich. »Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, mit dir darüber zu reden.«
    »Es ist ja nicht so, als würdest du vertrauliche Informationen preisgeben«, bemerke ich, damit er sich besser fühlt. »Wir sind beide gleich unwissend.«
    »Wir saßen im Auto, die ganze Nacht. Mehr haben wir nicht gemacht. In Spilling, in der Nähe vom Blantyre Park. Warum ausgerechnet dort, weiß ich nicht. Jo hat mir gesagt, dass ich dahin fahren soll, nach Spilling. Wir saßen im Auto und gaben William Chips und Popcorn, um ihn bei Laune zu halten. Sie waren beide müde, er und Barney. Die Kinder weinten. Ich fragte immer wieder, warum wir das täten, was der Plan sei. Jo wollte mir nichts verraten. Ich wollte nach Hause fahren, nach Rawndesley, aber das ließ sie nicht zu, sie wollte auch nicht zulassen, dass ich anrief und Bescheid sagte, dass wir okay seien. Sie wurde richtig böse auf mich, also … habe ich irgendwann aufgehört, Fragen zu stellen.« Neil zuckt die Achseln. »Blöd, was? Ich bin nicht stolz darauf, aber … Jo ist eben Jo. Die Kinder sind irgendwann eingeschlafen. Ich bin eingenickt. Als Jo mich aufweckte, war es Morgen. Sie sagte mir, ich solle nach Norden fahren. Nach Manchester oder Leeds, sagte sie, in irgendeine große Stadt. Wir fuhren nach Manchester und verbrachten den Großteil des Weihnachtstages und die Nacht in einem Hotel. Wieder weckte Jo mich mitten in der Nacht auf und erklärte, wir müssten nach Little Orchard zurück. Ich habe das alles nie verstanden. Es war verrückt.«
    Fast so verrückt, wie mit Jo verheiratet zu bleiben, einer unberechenbaren, labilen … Ja, was? Was genau ist Jo?
    »Hast du sie danach mal darauf angesprochen?«
    Neil stößt einen leisen Pfiff aus und macht große Augen. »Natürlich nicht. Was auch immer los war, sie hat mehr als deutlich gemacht, dass sie nicht darüber reden wollte.«
    »Es war ein schönes Haus. Little Orchard«, sage ich. Ich finde es unglaublich, absolut unvorstellbar, dass ich den Namen des Hauses laut ausspreche, und das ausgerechnet in einem Gespräch mit Neil. »Hast du noch die Kontaktadresse des Vermieters?« Und dann sage ich etwas Verrücktes, das ich nicht richtig durchdacht habe. »Luke und ich dachten, wir könnten vielleicht mal wieder …«
    »Geht nicht. Das Haus ist kein Ferienhaus mehr. Jo hat mal versucht, es zu mieten, für uns und ein paar Freunde, aber es ist wohl langfristig vermietet.«
    Ich frage mich, ob der langfristige Mieter wohl in letzter Zeit die Worte »Lieb – Grausam – Liebgrausam« auf einem linierten DIN-A4-Blatt gesehen hat.
    Ich tue so, als hätte ich die Angst in Neils Gesicht nicht gesehen, und frage, ob er mir nicht trotzdem Namen und Anschrift des Vermieters sagen kann.
*
    Durchwachte Nächte haben auch ihre Vorteile. Wenn man etwas tun will, wobei einen keiner erwischen soll, hat man reichlich Gelegenheit dazu. Heute, zum ersten Mal, seit ich unter Schlaflosigkeit leide, konnte ich es kaum erwarten, dass Luke endlich ins Bett ging und das begann, was ich als »meinen Teil der Nacht« betrachte.
    Es ist viertel nach zwölf, und ich starre auf einen Kalender auf dem Monitor. Ich habe zwei Decken um mich gewickelt, denn ich gestatte mir nicht, nachts die Heizung anzulassen oder ein Feuer zu machen, wie kalt es auch sein mag – zur Strafe für meine Unfähigkeit zu schlafen. Ich frage mich, warum Neil mich angelogen hat, obwohl ihm doch klar

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