Der kalte Schlaf
Wochenende im Dezember.«
Ich nage an meiner Unterlippe. Also keine langfristige Vermietung, die Eigentümer sind selbst eingezogen.
Nur dass das nicht sein kann, da der Kalender freie Tage für Buchungen im Dezember anzeigt.
Warum sollte eine Frau, der ich nie begegnet bin, mich anlügen? Warum sollte Neil mich anlügen? Es sei denn, Veronique Coudert hat auch ihn angelogen. Oder der Verfügbarkeitskalender ist falsch, veraltet. Was stimmt, was ist falsch? Ich bin zu erschöpft, um zu entscheiden, welchen Ideen ich nachgehen sollte und welche ich getrost ad acta legen kann.
Ein klatschendes Geräusch lässt mich aufschrecken. Es kam von unten und klang wie ein Stapel Post, der in den Flur gefallen ist. Haben wir neuerdings einen Postboten, der unter Schlaflosigkeit leidet?
Ich tappe nach unten, wobei ich immer noch vergeblich versuche, mir einen Reim auf das Vorgefallene zu machen. Wenn Little Orchard nicht mehr zu vermieten ist, wäre es doch sicher ein Leichtes, das Haus von der Vermietungs-Website zu nehmen. Warum sollte Veronique Coudert das vergessen haben, schließlich würde es ihr die Mühe ersparen, endlos Mails wie die meine beantworten zu müssen? Es sei denn, das Haus ist doch noch zu mieten, nur nicht für mich. Beziehungsweise für alle außer mir, Jo, Neil …
Ich bleibe auf dem Flur vor Lukes Zimmer stehen, ich bibbere vor Kälte. Wir mussten unsere Namen angeben, 2003. Jo hatte ein Formular. Sie hatte alle unsere Namen eingetragen, und wir mussten unterschreiben. Hilary hielt Kirstys Hand fest, und zusammen malten sie einen Krakel in das richtige Kästchen. Es war irgendeine Art offizieller Vertrag. Mein Name stand darin und meine Unterschrift. Amber Hewerdine ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name.
Warum sollte Veronique Coudert nicht wollen, dass einer von uns noch einmal in ihrem Haus wohnt?
Haben wir vor sieben Jahren irgendwas Falsches getan, etwas, von dem ich nichts weiß? Wenn Jo und Neil tatsächlich die Tür zum Arbeitszimmer aufgeschlossen haben, könnten die Eigentümer das irgendwie mitbekommen haben? Vielleicht hat Jo ein Feedback-Formular ausgefüllt und unter »weitere Kommentare« vermerkt, ein Mitglied ihrer Gesellschaft, Amber Hewerdine, eine gewissenlose Person ohne Grundsätze, habe sich dafür ausgesprochen, einen Blick in das verbotene Zimmer zu werfen, aber sie, die wunderbar moralisch aufrechte Jo, hätte dem einen Riegel vorgeschoben.
Ja, klar doch. Ich bin zu müde, um noch zu wissen, an welchem Punkt meine sinnvollen Spekulationen über die Grenze ins Reich der puren Phantasie abwandern.
Auf dem Fußboden unter dem Briefschlitz liegt ein gefütterter brauner Umschlag, der in der Mitte geknickt wurde, um ihn durch den Schlitz quetschen zu können. Ich öffne den Umschlag und ziehe ein paar Seiten dichtbedrucktes weißes DIN-A4-Papier heraus sowie einen Zettel, auf dem in einer extravaganten verschlungenen Handschrift ein paar Zeilen stehen. »Liebe Amber, ich bedaure, dass ich Sie vorhin auf die Palme gebracht habe. Sorry. Ich habe mich wirklich gern mit Ihnen unterhalten, und glauben Sie mir, das kann ich nicht von vielen Leuten behaupten. Eine Person, die ärgerlicherweise so gut wie immer Recht hat, hat mir versichert, dass Sie nicht verdächtigt werden, obwohl Sie technisch gesehen eine Verdächtige sind, also überlasse ich Ihnen einige Informationen über den Fall Katharine Allen. Ich dürfte das eigentlich nicht tun, und es würde denjenigen, der einen zur Raserei bringen kann, zur Raserei bringen, wenn er es wüsste. Obwohl er, in einer bestimmten Stimmung, so etwas ohne weiteres selbst tun könnte – nur ich darf es nicht. Wenn Ihnen irgendetwas auffällt, wenden Sie sich bitte an mich und an niemanden sonst, und bitte vernichten Sie die Kopien, sobald Sie sie gelesen haben. Charlie Zailer.« Unter ihrem Namen steht ihre Telefonnummer.
Ein merkwürdiger Brief. Die Person, die einen zur Raserei bringen kann, muss Simon Waterhouse sein. Ihr Mann. Warum sollte sie mir irgendwas, und sei es auch nur ein winziges Detail, über ihre Beziehung erzählen? Ich lese die Nachricht erneut und komme zu dem Schluss, dass Charlie Zailer betrunken sein muss und/oder so einsam, dass ihr alles egal ist. In den Monaten nach Sharons Tod habe ich auch alle möglichen unpassend vertraulichen, emotionalen Dinge zu völlig fremden Leuten gesagt. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich mich auf Leute gestürzt habe, die ich kaum kannte, in dem Versuch, die klaffende Lücke zu
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