Der kalte Schlaf
züngelt.
Ich interpretiere meine Wahrnehmungen und denke: »Oh. Das.« Ich gerate nicht in Panik. Nein, ich glaube nicht, dass ich in Panik gerate. Unser Flur brennt. Wellen des Entsetzens branden auf mich zu, aber sie erreichen mich nicht, obwohl ich in dem Kreis gefangen bin, den sie bilden. Ich kann Schreie hören, die niemand macht. Beweg dich . Alles geschieht wie in Zeitlupe.
Die Flammen sind bereits oben an den Wänden angelangt wie tödlicher Efeu, golden und flackernd. Durch den Rauch sehe ich etwas auf dem Boden unter dem Briefschlitz liegen, das aussieht wie Metall. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Beweg dich. Sofort.
Es ist meine Schuld. Ich habe die Batterien aus unseren Rauchmeldern herausgenommen. Sie gingen ständig los, wenn Luke kochte, und Dinah und Nonie begannen jedes Mal zu zittern und hysterisch zu weinen. Sie ließen sich nicht davon abbringen, dass es irgendwo im Haus brennen müsse.
Hat Sharons Mörder das getan?
Darüber jetzt nicht nachdenken. Ich weiß genau, was zu tun ist. Ich wende mich von der Feuersbrunst ab, laufe nach oben, wecke Luke und sage ihm, er solle Ruhe bewahren. Durch eine Art Filter hindurch merke ich, dass er nicht ruhig ist, dass es mir besser gelingt als ihm, ruhig zu bleiben. Er fängt sofort an zu husten. Ich huste nur dann und wann. Ich sage ihm, dass den Kindern nichts passiert ist, sie sind im Stockwerk über uns. Ich sage ihm, er solle das Fenster im Flur vor Nonies Zimmer öffnen. Dort können wir hinausklettern, es ist nur ein kleiner Sprung hinunter zum Flachdach des zweistöckigen Anbaus, den die Vorbesitzer errichtet haben. Ich greife nach Lukes Handy und drücke es ihm in die Hand. Ruf die Feuerwehr, sobald du das Fenster geöffnet hast, sage ich.
Ich laufe nach oben und wecke die Mädchen, wobei ich beruhigende Worte flüstere. Sie müssen den Eindruck gewinnen, als würde ich sie lediglich aufwecken, um ihnen zu versichern, dass alles gut werden wird, dass überhaupt nichts Schlimmes passiert ist. Ich sage die Wahrheit: Ich glaube daran, dass alles gut werden wird, und deshalb habe ich keine Angst. Ich stehe unter Schock, aber ich habe keine Angst, wie ich mir selbst versichere. Ich habe keine Angst. Ich habe keine Angst. Ich habe alles bedacht: Wir werden nur zu Schaden kommen, wenn die Flammen den zweiten Stock erreichen, bevor wir aus dem Fenster gestiegen sind, und das werden sie nicht. Als ich sie zuletzt sah – die Flammen –, hatten sie die Decke erreicht, aber nahmen erst den halben Raum zwischen Haustür und Treppe ein. Als ich der schweigsamen Nonie und der empörten Dinah Bademäntel und Hausschuhe überziehe, achte ich sorgsam darauf, ja nicht das Wort »Feuer« auszusprechen.
Luke erwartet uns vor dem Fenster. Er hilft den Kindern dabei, aus dem Fenster zu steigen, und versucht, auch mir zu helfen, aber ich lasse ihn zuerst gehen. Ich muss als Letzte gehen, ich darf nur mich selbst gefährden und niemanden sonst. Nonie hustet. Wenn ich wüsste, wer das Feuer gelegt hat, würde ich ihn dafür umbringen, dass sie seinetwegen so husten muss.
Einige Zeit später – ich habe keine Ahnung, wie viel später – sitzen wir am anderen Ende des Anbaus auf dem Dach, lassen die Füße baumeln und warten auf die Feuerwehr. Wir zittern vor Kälte und klammern uns aneinander fest. Es ist absurd, dass unser Haus hinter uns lichterloh brennt und wir trotzdem frieren.
»Werden wir das Haus reparieren können?«, fragt Nonie.
»Das Haus ist nicht wichtig«, sage ich. »Nur wir zählen.«
Dinah bricht in Tränen aus und bedeckt das Gesicht mit den Händen. »Es ist meine Schuld. Das ist alles meine Schuld.«
»Das ist es ganz sicher nicht«, versichere ich ihr.
»Doch. Meinetwegen habt ihr dieses Haus gekauft. Ihr habt es gekauft, weil ich gesagt habe, dass es mir sehr gefällt.«
»Und weil es uns gefiel.«
»Aber wenn ich gesagt hätte, dass ich es nicht mag, hättet ihr es nicht gekauft, und es gefiel mir aus einem schlechten Grund. Ich fand, es sähe aus wie ein Haus, in dem eine echte Berühmtheit als Kind gewohnt haben könnte, und ich will berühmt werden.«
Luke und ich wechseln einen Blick, der uns nicht dabei hilft zu entscheiden, wer von uns beiden am besten geeignet ist, hiermit umzugehen.
»Ich wollte ein Haus, bei dem man sich vorstellen kann, dass eines Tages eine Gedenktafel daran hängt, auf der steht: ›Hier hat Dinah Lendrim gelebt. Von 2009 bis irgendwann‹, wenn ich ausgezogen wäre«, schluchzt Dinah. »Ich habe
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