Der Kalte
bekommt. Also sie wisperte und wisperte, dann hat sie die Dolly ausgelassen, ist zu mir gekommen, mir wie immer ins Haar gefahren, hat mich von oben bis unten gemustert und gelacht. Dann sind wir gegangen, Mutter ist zu ihr reingegangen, aber gleich wieder rausgekommen.
Zu Neujahr haben sie meine Schwester tot bei Maria Ellend aus der Donau herausgezogen. Sie hätte ja sehr gut schwimmen können, aber sie war voll mit Schlaftabletten und hatte zerschnittene Handgelenke. Ich muss jetzt aufhören.
12. 3. 1986
Einmal, einige Tage bevor sie in die Donau gegangen ist, hat sie in ihrem Zimmer mit der Oberschwester zu raufen begonnen. Da hätten eigentlich alle wissen müssen, dass es gefährlich ist, sie nur so zu lassen. Aber die Klinik Berner ist eine moderne Psychiatrie, da sperrt man die Leute nicht ein oder bindet sie im Bett an. So hat sie zu Silvester mir nix dir nix das Spital verlassen können und sich neben der Floridsdorfer Brücke ins Wasser reingetan. Leute haben sie gesehen und das nachher bezeugt. Von Floridsdorf bis Maria Ellend, das ist ganz schön weit. Ob sie gleich ertrunken ist?
Und der Fraul ist schuld daran, dieses Riesenarschloch. Er wollte zum Begräbnis kommen, aber ich hab ihm ausrichten lassen, ich mach einen Skandal, wenn er da auftaucht. Drei Briefe hat er mir geschrieben. Um die Erde gehaut hat er sich, aber davon wird sie nicht lebendig. Soll er sich aufhängen.
13. 3. 1986
Zwei Tage nach Dreikönig war dann die Beerdigung. Wegen der Berühmtheit von Vati waren viele Prominente erschienen, der Staatsoperndirektor Nürnberger, sein Sekretär Kammerlander, etliche Musiker und Sänger, zu meiner Verblüffung auch die Cigorny. Alle kümmerten sie sich um Mutter, umarmten sie, und ich wurde auch von teils wildfremden Leuten umärmelt. Stella Cigorny küsste mich rechts und links, und ich konnte ihren tollen Busen durch unsere Wintermäntel spüren. Es waren sehr viele Leute, die sich in der Zeremonienhalle versammelt hatten. Der Pfarrer von St. Karl Borromäus hat sehr lange geredet, und zwar andauernd von Jesus. Vielleicht zweimal hat er von Margit gesprochen, von der armen Margit und vom Unglücksfall, als wäre sie rein zufällig in die Donau gestolpert.
Neben mir ist die Dolly gestanden und hat sich die ganze Zeit bei mir eingehängt. Mir ist aufgefallen, dass sie den Davidstern nicht getragen hat. Wenn einer von Vatis Bekannten und Freunden auf mich zukam, hat sie den Arm von mir weggenommen und ist zwei Schritte zurückgetreten. Dann haben sie Orgelmusik gespielt und ein Streichquintett, das Adagio von Schubert. Vom Band haben sie eine Passage vom Deutschen Requiem gebracht, mit Vatis Stimme. Da hats mich dann gewürgt. Hernach sind wir ziemlich weit bis zum offenen Grab gegangen. Dort hat der Pfarrer nochmals von Jesus gesprochen. Neben der Grube von Margit war das Grab von Vati. Das hat mich gewundert, ich hab immer geglaubt, wir alle werden zu ihm dazugesteckt, aber Mutter hat mir erklärt, dass bloß sie bei ihm sein werde. Vati hatte schon seit langem für uns alle Gräber gekauft, merkwürdig. Ich hab mich umgeschaut, meines hab ich nicht entdeckt.
Während sich alle angestellt haben, um Erde auf den Sarg zu werfen, haben Mutter und ich es als Erste getan. Vorher hat sie mir einen Fünfziger gegeben, ich hab ihn zusammengefaltet und dem Totengräber zugesteckt. Dann sind Mutter und ich dagestanden, Dolly hat sich schon auf dem Weg zum Grab weiter hinten eingereiht. Alle sind an uns vorbeigezogen. Die Cigorny hat zu Mutter Renatchen gesagt, meinen Namen hat sie aber nicht gewusst, denn sie hat gemurmelt »armer Bruder, mein tiefstes Mitgefühl«, und schon hat sie mich wieder an sich gedrückt. Irgendwann habe ich dann die Dolly näher rücken gesehen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, irgendwer beobachtet mich heimlich, ich habe mich umgeblickt, vorbei an der Menschenschlange zu entfernteren Grabsteinen, ob von dort wer mit einem Opernglas herlugt. Womöglich war Karl Fraul irgendwo und versteckte sich hinter einem Stein oder Baum. Ich
schwörs, ich habe ihn gespürt, und wie sich später herausgestellt hat, war er wirklich da, aber ist erst nachher, als wir schon fort waren, zum Grab gegangen, war tatsächlich versteckt, und ich habs gespürt. Plötzlich bin ich aufgeschreckt, denn die Dolly hat ihr Schauferl Erde auf Margit geworfen, wollte bei Mutter und mir dann vorbei, aber ich hab ihr gesagt, sie soll neben mir stehen bleiben. So ist sie für die übrigen
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