Der Kammerjäger
Klaus wandte sich vom Fenster weg und sah den lärmigen Entomologen an. «Was ist denn jetzt schon wieder?»
«Sieh dir das an.»
Angewidert deutete Bob auf einen Aschenbecher, in dem mehrere Zigarettenkippen in einer stinkenden braunen Flüssigkeit schwammen. In und um den Aschenbecher lagen sieben oder acht seltsam aussehende Insekten auf dem Rücken. Die Wanzen waren schwarz mit dunkelroten Ringen um den Abdomen, und alle ihre Glieder waren mit dünnem krausen Haar gesäumt.
«Das», sagte Bob nüchtern, «sind Hybriden der Rasse Drei.» «Was ist mit denen?» fragte Klaus.
«Nur die unwesentliche Kleinigkeit, daß sie so tot sind wie die Kerinedys!» entgegnete Bob demokratisch. «Das Wasser im Aschenbecher hat das Nikotin aus dem Tabak gefiltert, und sie haben es getrunken.»
Klaus starrte Bob an. «Und wieso sind sie tot?» fragte er.
Bob verdrehte die Augen wie ein verzweifelter Biologielehrer. «Nikotin ist ein giftiges, wasserlösliches Alkaloid, verdammt noch mal! In der wäßrigen Lösung seines Sulfats ist es ein Insektizid! Das weiß jeder Idiot! Da ... siehst du das klebrige braune Zeug an den Wänden? Das ist Nikotin! Es ist ein extrem süchtigmachendes Gift, und dieser Laden ist damit vollgekleistert!»
«Und wieso hat es nicht die Kakerlaken umgebracht?»
Bob sah verdutzt aus. «Hast du denn nicht zugehört, was ich gesagt habe? Schaben sind fast gegen jeden chemischen Stoff immun geworden, den der Mensch hergestellt hat. Sieh dir das an ... »
Zu Klaus' Überraschung trat Bob ein Loch in die Wand, und mehrere aufgeregte schwarze und muschelförmige Küchenschaben (Blatta orientalis) flitzten über den Boden.
Bob schnappte sich eine. An ihren Flügelstummeln war zu erkennen, daß es ein Weibchen war. Er brachte sie zum Aschen- becher, und aufgeregt wedelte sie mit den Fühlern, als sie das potente Gebräu roch. Bob setzte die Kakerlake am Rand des Aschenbechers ab, und sie tunkte ihr Mundwerkzeug in die braune Flüssigkeit und trank. Im nächsten Moment bewegte sich das eben noch ganz aufgedrehte Kerbtier in einer narkotisierten, benebelten Zeitlupe - seine ehemals hektischen Fühler entspannten sich und hingen auf die Tischplatte herab.
«Siehst du? Schaben lieben das Zeug», dozierte Bob. «Lieben es? Mann, was sage ich? Sie sind süchtig danach. Aber meine Hybriden sind solchem Stoff nie ausgesetzt worden. Ich wette, mein gesamtes Tausend Wanzen war innerhalb von zwei Tagen tot.»
«Na ja, darüber mußt du dir ein andermal Sorgen machen», sagte Klaus. «Sehen wir zu, daß wir hier verschwinden.»
«Mein Gott, ich bin so ein Dämel!» platzte Bob heraus. Er hielt inne, als ihm ein Gedanke kam. «Einen Moment. Ich weiß nicht, ob diese Rasse funktioniert hat oder nicht. Ich weiß nur, daß sie nicht mit Nikotin umgehen können.»
«Können wir jetzt gehen?» fragte Klaus.
«Ja.» Bob klang verletzt. «Mein Gott, was für eine dumme Zeitverschwendung. Ich hätte das voraussehen müssen.»
Die Straßen schienen im Moment sicher zu sein. Die einzigen Leute in Sichtweite waren eigentlich nur ein kleiner Stamm sich kratzender Obdachloser - glücklose Typen, die uns an unsere Vergangenheit als Jäger und Sammler erinnern. Klaus blieb stehen und beobachtete mit makabrem Interesse, wie die dem Untergang geweihten Atavisten eine Reihe Mülltonnen nach verdorbenem Essen und Recyclingprodukten abgrasten. Zwischendurch hielten sie inne, um sich zu kratzen.
«Wahrscheinlich haben sie Brills Krankheit», sagte Bob.
«Und wahrscheinlich hat Brill ihre», witzelte Klaus. «Tut mir leid, ich sollte mich über ihr Unglück nicht lustig machen. Was ist diese ?» erkundigte er sich.
«Es ist eine durch Läuse übertragene rezidivierende Form von Typhus, die gewöhnlich zusammen mit dem sogenannten Wohlhynischen Fieber auftritt, auch unter dem Namen Schützengrabenfieber bekannt.»
«Du weißt ein paar sehr merkwürdige Dinge», bemerkte Klaus. «Ja, die Krankheit wird übertragen, wenn die Läuse auf der Haut zerdrückt werden und verseuchtes Blut mit einer offenen Wunde in Berührung kommt.»
Klaus kratzte sich auf der Brust und warf einen mitfühlenden Blick zu diesen im Müll kramenden armen Schluckern. Er folgte Bob den Bürgersteig entlang, während er weiter dem ungebetenen Vortrag lauschte.
Bob kratzte sich hinterm Ohr.
«Die Kopfläuse befestigen ihre Eier an menschlichen Haaren, gewöhnlich im Nacken. Bei jeder neuen Nahrungsaufnahme machen sie einen neuen Stich.
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