Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
»Ich bin mir nicht sicher. Es sieht irgendwie anders aus.«
»Vielleicht hat sich die Natur nach all der Zeit verändert«, meinte Jorim.
»Mag sein«, entgegnete Bronn. »Aber wie auch immer, lass uns rasten für die Nacht.«
Zu gern wäre Jorim weitergegangen, aber sein Begleiter hatte recht. Sie mussten sich ausruhen, und außerdem wäre es zu gefährlich, in der Dunkelheit weiterzulaufen. Ein falscher Schritt, und sie könnten in eine der Schluchten stürzen.
»Gut«, sagte Jorim und deutete auf eine Stelle rechts unterhalb von ihrem Standort. »Dort, an dem Abhang neben der steilen Felswand, ist es geschützter. Und man wird unser Feuer nicht gleich entdecken.«
Prüfend blickte Bronn sich um. »Das halte ich ohnehin für ausgeschlossen. Nebel zieht auf.«
Jorim schauderte, denn wer wusste schon, was sich in dem wabernden Weiß oder gleich dahinter verbarg? Vanuren, Mörder, wilde Tiere? Er schüttelte sein Unbehagen ab und eilte auf die Felswand zu, in der Hoffnung, ein Feuer werde seine düsteren Gedanken vertreiben. In seiner Hektik achtete er nicht richtig auf den Weg, stolperte und schlug der Länge nach hin. »Verdammter Stein«, schimpfte er mit einem Blick zurück, denn er hatte einen aus dem Boden ragenden Gesteinsbrocken übersehen. Er stützte sich auf die Unterarme und wollte sich schon erheben, doch da stutzte er. »Bronn! Komm her«, rief er.
»Hast du dich verletzt?« Schon war der alte Halbling neben ihm, aber Jorim schüttelte den Kopf.
»Nein, sieh nur!« Er deutete auf den Abdruck eines sehr breiten Fußes. Ein kleines Rinnsal bahnte sich hier seinen Weg talwärts, und wie es aussah, war Enna in die aufgeweichte Erde gleich daneben getreten.
»Wir müssen weiter, Bronn.« Jorim fasste den alten Halbling am Arm und sah ihn eindringlich an.
Bronn zögerte, doch schließlich nickte er. »Gut.« Sein Blick schweifte zum Himmel. »Es ist so gut wie dunkel, aber wenn wir ganz vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, sollte es gehen.«
Also gingen sie weiter, doch bald schon war die Nacht vollends hereingebrochen, und sie mussten rasten, ohne Enna gefunden zu haben.
22. BEGEGNUNGEN IM SUMPF
In dieser Nacht konnte Enna kaum schlafen. Der Gedanke, den Drachen so nahe zu sein, ließ sie keine Ruhe finden. Würden diese mächtigen Wesen, die Herren der Suravan-Berge, sie überhaupt anhören? So weit war sie gekommen, und nun plagten sie Zweifel. Die Suravan-Berge waren eine eigene Welt, Drachen und Gulvaren würden sich vermutlich kaum um Ghule und Erinyen scheren, denn für sie stellten sie keine Bedrohung dar. Und was sollte diese Kreaturen ein kleines Volk wie das der Halblinge kümmern? Andererseits galten Drachen und Gulvaren ja als die Bewahrer des Gleichgewichts, und das Gleichgewicht war nun eindeutig zugunsten der Erinyen gekippt. Das war es, woran Enna sich letztendlich klammerte, und so trat sie mit dem ersten Schimmer der Morgendämmerung zu Yrm, der noch immer zusammengerollt am Boden lag.
Vorsichtig stupste sie ihn mit dem Fuß an. Der Mann schrak zusammen, war schneller aufgesprungen, als Enna blinzeln konnte, und hielt ein Messer in der Hand. Aber dann seufzte er tief, strich sich die Locken aus dem Gesicht und rieb sich kurz über seine gerötete Wange. »Es ist nicht einmal ganz hell.«
»Lasst uns trotzdem aufbrechen.«
»Also gut.« Sorgfältig verwischte Yrm die Spuren ihres Feuers, dann schritt er auch schon voran. Morgennebel hing noch zwischen Felsen und Bäumen, und immer wieder wanderte Ennas Blick in die Höhe, in der Hoffnung, einen Drachen zu sehen. Aber die Himmelsgeschöpfe schienen noch zu schlafen oder zumindest nicht in der Nähe zu sein.
Allmählich wurde das Gelände flacher, und Bäume wichen fremdartigen Büschen mit breiten Blättern und langen Dornen. Immer wieder sanken Ennas Füße in dem Moos ein, das den Boden bedeckte, und mehr als einmal zog sie sie rasch zurück. Zudem gluckste ständig Wasser unter ihr.
»Nur keine Angst«, sagte Yrm. »Dieses Moos ist zäh und dick. Es wird uns tragen.«
»Seid Ihr sicher?«
»Ja! Du darfst nur nicht auf dieses dort treten.« Er deutete auf den Boden rechts von Enna.
»Wo ist da der Unterschied? Für mich sieht es nach demselben Moos aus.«
»Dem ungeübten Auge mag das so erscheinen«, erklärte Yrm, »doch das dort ist dünner, auch das Grün ist ein wenig heller. Wenn du es betrittst, schnellt es regelrecht um dein Bein und reißt dich in die Tiefe.« Er schüttelte den Kopf. »Kein schöner
Weitere Kostenlose Bücher