Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
nur vorgetäuscht, die Verletzungen dafür sogar in Kauf genommen.
War er eben noch zurückgewichen, so stürmte er plötzlich los und lief Yoraks nächstem Hieb entgegen. Dann machte er einen Ausfallschritt nach rechts, führte rasch seinen Stock in die Höhe und fing die Geißeln ab. Kaum hatten sich diese um das Holz gewickelt, zog der Ghul mit aller Kraft seine Waffe zurück und entriss dem Erinya damit seine Peitsche. Yorak verlor das Gleichgewicht und stolperte nach vorn, direkt auf Hanafehl zu. Dieser ließ den Weidenstab fallen, schlang die Arme um seinen Gegner und hob ihn hoch – dann drückte er zu. Yoraks Hände krallten sich in Hanafehls Haare, rissen daran, aber das kümmerte den Ghul nicht.
Entsetzt beobachtete Enna, wie sich Hanafehls Muskeln anspannten. Yoraks Knochen mussten jeden Augenblick unter diesen enormen Kräften zerbrechen.
Aber so weit kam es nicht. Der Erinya rammte seinen rechten Ellbogen mit aller Kraft nach unten, direkt auf das Nasenbein seines Gegners. Es knackte laut, der Ghul lockerte seinen Griff und taumelte zurück. Mehr brauchte Yorak nicht, um sich zu befreien. Mit einer schlangenhaften Bewegung wand er sich aus Hanafehls Griff heraus. Dann schlug er mit der Faust zu; abermals war die Nase das Ziel seines Angriffs. Der Ghul brüllte auf, Enna wusste nicht, ob aus Wut oder Schmerz. Ein Tritt in die Magengrube und der Schrei verstummte, während Hanafehl noch weiter zurücktaumelte. Yorak setzte nach. Doch dann richtete sich der Ghul auf, seine Klauenhand fuhr durch die Luft und riss Fetzen des Erinyen-Umhangs davon. Ein zweiter kräftiger Hieb traf Yoraks Schulter, doch der Erinya bewahrte sein Gleichgewicht und blieb auf den Beinen. Den Schwung nutzend, rollte er sich ab und bekam dabei seine am Boden liegende Geißel zu fassen. Sofort holte er aus – und die Geißelenden schlangen sich um Hanafehls Schädel. Ein Ruck von Yorak, und der Ghul stürzte auf die Knie. Wie ein huschender Schatten sprang der Erinya auf seinen Gegner zu. Noch bevor dieser sich erheben konnte, umfasste Yorak den Holzgriff seiner Peitsche mit beiden Händen. Dann rammte er die messerlange Klinge von oben direkt in Hanafehls Schädel. Der Ghul riss noch einmal die Augen auf, kurz schien darin so etwas wie Ungläubigkeit aufzublitzen, doch diese verlosch ebenso schnell wie die Flamme einer Kerze im Wind. Der massige Körper erschlaffte, kippte vornüber und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden. Hanafehl, der Fürst der Ghule, war tot.
Enna starrte auf den leblosen Körper. Sie konnte nicht fassen, dass der gewaltige Ghul nicht mehr lebte. Seitdem sie und Jorim Gefangene der Erinyen waren, war die Präsenz dieser angsteinflößenden Kreatur allgegenwärtig gewesen. Nur Gwendalon hätte sie es zugetraut, Hanafehl zu töten. Doch der geheimnisvolle Elf und die schöne Alvendorah waren nicht hier. Wo mochten sie gerade sein? Befand sich ihre Armee bereits auf dem Weg, oder hatte die Tochter aus dem Hause Enduriel ihren Vater nicht davon überzeugen können, in die Südlande zu ziehen?
Ein unschönes Geräusch riss Enna aus ihren Gedanken. Yorak löste die Widerhaken der Geißeln vom blutverklebten Kopf des Ghuls. Danach strich er andächtig mit einem Finger über die Intarsien im Holzgriff. Er flüsterte etwas vor sich hin, doch Enna verstand kein Wort.
Als der Erinya sich langsam umwandte und sein Blick sie traf, schluckte sie schwer. Sie sah zu Jorim hinüber, doch wie sie wurde auch ihr Bruder von knochigen Erinyen-Händen festgehalten. Die Finger schlossen sich noch fester um ihre Schultern, als Yorak mit großen, federnden Schritten auf sie zukam. Dass er seine Geißel nicht weggesteckt hatte, sondern noch immer in seinen Händen hielt, machte Enna noch mehr Angst.
38. DEM TRÄGER ERGEBEN,
IM TOD WIE IM LEBEN
Ungeduldig wartete Zervana auf Yoraks Rückkehr. Mittlerweile ging es auf Mitternacht zu, und nach wie vor suchten Erinyen nach Überlebenden – zumindest nach solchen, die in der Lage waren, weiterzukämpfen. Ohne ihren Anführer wirkten die Ghule planlos und unsicher. Zervana hatte ihre Fackelträgerinnen angewiesen, jene Ghule, die nicht mehr kampffähig waren, einfach liegen zu lassen. Sie wusste nicht wirklich, ob sich das Volk der Ghule Sentimentalitäten leistete, wie sich um Verwundete zu kümmern, sie jedenfalls würde es ganz sicher nicht tun. Langsam schritt sie auf der Geröllhalde umher. Dreißigtausend waren sie bei ihrem Abmarsch gewesen, und noch immer war nicht
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