Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
wieder. »Zumindest wird Zervana dies glauben. Das Ei jedoch wird mein sein, ohne dass sie es weiß!«
Das also war Hanafehls Plan. Er wollte sie und Jorim töten, das Ei an sich reißen und Zervana glauben machen, sie wären samt ihres wertvollen Besitzes von den Gesteinsmassen begraben worden.
Hektisch sah Enna zu Jorim, der sich erstaunlich ruhig verhielt. Nun erkannte sie auch, warum. Während Hanafehl mit Enna beschäftigt war, war ihr Bruder langsam zur Seite gewichen und hatte einen der Weidenäste zurückgebogen. Schon machte er Enna ein Zeichen mit dem Kopf, dann ließ er los. Der Ast peitschte durch die Luft – und traf den Ghul mitten ins Gesicht.
»Lauf!«, schrie Jorim. Enna gehorchte, achtete nicht auf Hanafehls zorniges Brüllen und rannte los, doch plötzlich stand jemand vor ihnen und versperrte den Weg. Noch ehe sie ausweichen konnte, prallte Enna gegen ihn und wurde festgehalten. Sie hob den Kopf und blickte auf einen dunklen, mit silbernen Intarsien verzierten Peitschengriff, aus dessen Ende eine Klinge ragte.
Obwohl sie nichts erkennen konnten, schauten die Halblinge wie gebannt ins Tal. Eine mächtige Staubwolke verhüllte den Grund, sodass sie nicht sagen konnten, welchen Schaden die Lawine angerichtet hatte.
Es gab hier nichts mehr für sie zu tun, allerdings rechneten sie damit, dass sich die überlebenden Feinde neu formieren und nach Westendtal weiterziehen würden. Und so brachen die Halblinge auf und eilten zurück. Sie hatten ihrem Gegner einen ersten Schlag beigefügt, doch für Elvor war das nur der Anfang. Er war ein Sternenfaust, und er würde alles daransetzen, seinen Großvater stolz zu machen.
37. GHUL GEGEN ERINYA
Kaum war das Donnern der Gerölllawine verhallt und der letzte Fels zum Stillstand gekommen, verließ Zervana die kleine Höhle, in welche sie mit einigen anderen Erinyen im letzten Augenblick geflüchtet war. Sie hatte keine Zeit gehabt, Befehle zu erteilen, geschweige denn, sich um irgendetwas anderes als ihre eigene Unversehrtheit zu sorgen. Lediglich Yorak hatte sie zugebrüllt, sich mit zwei Streiterinnen um die Halblinge zu kümmern. Dem Drachenei – so es denn eines war – durfte nichts geschehen. Nun sprang sie auf den nächsten Felsen und hob ihre Fackel empor. All ihre Kraft, all ihren Willen bot sie auf, um die Glut der Erinyen-Waffe zu nähren. Schnell loderte diese auf, und Funken stoben von den knisternden Flammen davon.
»Erinyen!«, schrie Zervana. Ihre Stimme schnitt durch die kühler werdende Abendluft. »Erhebt eure Fackeln und brennt für Myrador und eure Usurpatorin! Brennt für mich!«
Sie musste nicht lange warten. Nach und nach glommen Fackeln in der Düsternis auf, enthüllten, was die Dunkelheit verbarg: Tausende von Felsbrocken übersäten das Tal. Bis in den Erenin hinein reichte das Geröllfeld, das zu einem Grab unzähliger Erinyen und Ghule geworden war. Hier und da ragten Gliedmaßen aus den Spalten zwischen den Steinen hervor; manche bewegten sich noch, rangen darum freizukommen oder zuckten im Todeskampf. Noch wusste Zervana nicht, wie viele ihr Leben gelassen hatten, wie stark ihre Armee noch war.
Sie schalt sich selbst eine Närrin, die Ghule nicht gezwungen zu haben, vorneweg zu marschieren. Eigentlich war es Moydanas Aufgabe gewesen, zusammen mit ihren fünfzig Streiterinnen ein solches Debakel zu verhindern und jeden zu töten, der an einer Barrikade lauerte.
Was war geschehen? Wo war Moydana? Zervana sah die Bergwände empor, doch diese verloren sich hoch oben in der Dunkelheit. Schließlich ließ die Usurpatorin ihren Blick über die überlebenden Erinyen und Ghule schweifen. Unruhe machte sich in ihr breit, und es drängten sich ihr weitere Fragen auf: Wo waren die Halblinge und das Drachenei? Wo waren Hanafehl und Yorak?
Die Winzlinge mochten zerquetscht worden sein. Bei Hanafehl befürchtete sie jedoch, dass eher der Fels barst als die verruchten Knochen dieses Ghuls. Yorak hingegen war zu schnell, zu geschmeidig, als dass ihn ein Gesteinsbrocken erwischen konnte. Wo also waren die beiden?
»Yorak!«, flüsterte Enna. Sie und Jorim traten zurück. Allerdings war der Erinya nicht allein gekommen. Zwei weibliche Vertreterinnen seiner Art waren bei ihm, schnellten nun nach vorne und packten Enna und Jorim.
Doch auch Hanafehl hatte sie wieder eingeholt. In der rechten Hand hielt er einen langen Weidenstab, vermutlich aus jenem Ast gemacht, den Jorim ihm eben ins Gesicht hatte schnellen lassen. Über der linken
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