Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
sind Halblinge! Unsere Körper mögen von kleinem Wuchs sein, doch Mut und Stärke werden nicht in den Muskeln unserer Arme und Beine geboren. Sie entstehen durch Glaube und Zuversicht, tief in unserem Inneren. Und mit Mut und Schläue haben wir dem Gegner einen herben Schlag zugefügt. Seht nur hin«, Elvor zeigte auf den Feind, »die Ghule haben bereits Reißaus genommen.« Kurz ließ er die Worte wirken, dann sprach er weiter. »Wir sind Halblinge! Klein, doch mit großen Herzen! Unsere Tapferkeit wird heller lodern als jede Erinyen-Fackel!« Er reckte die Hand empor und schrie noch einmal mit aller Kraft: »Wir sind Halblinge!«
Boglin und Bremlin waren es, die als Erste Elvors Ruf wiederholten, und schon wenige Augenblicke später stimmten die anderen Halblinge mit ein. Elvor hätte es nicht für möglich gehalten, aber seine kurze Rede war ein Volltreffer. Zwar war die Angst, die in der Luft lag, noch immer greifbar, doch so manche Waffe wurde nun mit festerem Griff gehalten. Um Worte war Elvor noch nie verlegen gewesen, und vielleicht könnte er ja zukünftig dieses Talent noch sinnvoll anwenden. Der Gedanke an die Zukunft ließ ihn nach vorne, auf die Feinde blicken. Diese waren mittlerweile ganz nah, höchstens hundert Schritte trennten die ersten Erinyen noch vom Palisadenzaun. Die Anspannung stieg, wurde noch greifbarer. Wie gebannt starrten die Halblinge auf die Erinyen-Flut.
»Jetzt!« Ambrins Stimme zerschnitt die Luft. Und sofort schnellten Pfeile und Steine auf die Angreifer zu. Allerdings war es erschreckend zu sehen, wie wenige der Geschosse Wirkung zeigten. Viele der kleinen Halblingspfeile wurden von den schnellen Erinyen-Geißeln aus der Luft geschlagen, und nur einige durchdrangen die schweren Lederumhänge. Dies jedoch genügte nicht, um ernsthaften Schaden anzurichten. Nur hier und da griff sich eine Erinya an den Hals, aus dem ein Pfeil ragte, und brach zusammen.
Die kopfgroßen Steine, die mittels der beiden großen Katapulte in die Menge geschleudert wurden, töteten dagegen gleich mehrere Gegnerinnen. Hätten die Halblinge Dutzende dieser Waffen anfertigen können, wäre es ihnen vielleicht möglich gewesen, der Armee länger standzuhalten.
So jedoch erreichten schon bald die ersten Erinyen den Palisadenzaun. Seile – an den Enden mit Widerhaken versehen – wurden in die Höhe geschleudert, bohrten sich dort in das Holz. Wie schwarze Spinnen zogen sich die Erinyen schließlich daran die Palisadenwände empor.
Hektisch eilten die Halblinge herbei und durchtrennten die Seile so schnell wie möglich. Aber nicht alle Erinyen versuchten, die Barrikade zu erklettern – viele steckten sie mit ihren Fackeln an anderer Stelle einfach in Brand. Es dauerte nicht lange, bis die erste Barrikade lichterloh in Flammen stand. Die Hitze, die dabei auf den Wehrgang hochwallte, war unerträglich. Den Halblingen blieb nichts anderes übrig, als hinter die zweite Absperrung zu flüchten. Die beiden Katapulte zerrten sie dabei mit sich.
Elvor hatte geahnt, dass sie die erste Reihe nicht sehr lange würden halten können, doch dass sie so schnell fallen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Warte, Enna Borkenfeuer! Enna erschrak und wirbelte herum.
»Was ist los?«, fragte Jorim, wobei er sich nach möglichen Feinden umsah.
Enna hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Mir war, als hätte ich jemanden rufen hören – und auch wieder nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet.«
»Lass uns einfach weitergehen!« Jorim legte einen Arm um seine Schwester und zog sie sanft mit sich. »Ich glaube, diese Reise hat uns ganz wirr gemacht.«
Warte, Hilfe naht!
Enna erstarrte. Die Stimme war in ihrem Kopf, wurde ihr jetzt klar. Erstaunt rieb sie sich die Schläfen. Wurde sie jetzt etwa verrückt?
»Enna?« Sie spürte, wie Jorim sie an der Schulter fasste und sanft rüttelte. Und dann dämmerte es ihr.
»Es ist das Ei!«, flüsterte sie.
»Was?«
Enna blickte in das verwirrte Gesicht ihres Bruders, dann sah sie an sich herab. »Das Wesen spricht mit mir! Direkt in meinem Kopf.«
»Das meinst du jetzt nicht ernst?« Jorim zog eine seiner Brauen skeptisch in die Höhe.
»Ich verstehe es selbst nicht, aber …«
Du wirst noch verstehen, aber erst später. Nun schließe die Augen und lausche!
»Enna, ich …«
»Psst!«, unterbrach sie Jorim. Sie tat, was ihr die Stimme geraten hatte, schloss die Augen und horchte.
Geräusche drangen an ihr Ohr, ganz leise
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