Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
einem der unzähligen Täler, die es hier gibt«, korrigierte Elvor den Fährtenleser.
»Solange Nespur weiß, in welchem, stellt das kein Problem dar, nicht wahr?« Enna musterte Fährtenauge mit fragendem Blick. Der alte Halbling rieb sich das Kinn, dann strich er sich die dichten schwarzen Haare zurück.
»Ich fasse es nicht«, brummte Elvor. »Er hat sich verirrt.«
»Das habe ich nicht gesagt«, verteidigte sich Nespur. »Ich war hier nur noch nie.«
Elvor schnaubte verächtlich. »Das macht doch keinen Unterschied.«
»Doch, das tut es«, entgegnete Nespur. »Allerdings wäre es hilfreich, wenn uns morgen ein lichter Tag erwarten würde. Dann werde ich mich schon orientieren können …«
»Ein lichter Tag, dass ich …«
»Seht mal, da drüben!«, rief Jorim plötzlich.
»Verdammt, nicht schon wieder«, klagte Enna.
Unter den fernen Bäumen war ein Licht zu sehen.
»Wartet.« Nespur hob die Hand. »Das ist keine Erinyen-Fackel.«
Auch Jorim erkannte nun, dass es sich nicht um eine lodernde Fackel handeln konnte. Zum einen war dieses Licht deutlich heller, zum anderen hüpfte es im Zickzack durch die Nacht, als wüsste es nicht wohin.
»Was ist das?«, wollte Jul wissen.
»Sieht aus wie ein Irrlicht.« Nespur spähte angestrengt in den Wald.
»Das ist schlimmer als eine Erinya«, stellte Jul fest.
»Kann ich kaum glauben«, meinte Enna und sah fasziniert in die Richtung des Lichts.
Noch immer hüpfte es hin und her, verschwand hinter einem dicken Baumstamm und kam urplötzlich hinter einem anderen wieder zum Vorschein, und – es kam näher. Noch einige Male vollzog es dieses Manöver, dann plötzlich tanzte es über Ennas Kopf hinweg.
»Was seid ihr?« Eine glockenklare Stimme hallte durch den Wald. Die fünf Gefährten legten die Köpfe in den Nacken und starrten auf das sonderbare Geschöpf.
»Wir sind Halblinge«, erklärte Enna, und das leuchtende Licht offenbarte ihr verzücktes Lächeln und spiegelte sich in ihren grünen Augen.
»Halblinge? Welch verwirrende Bezeichnung für ein Volk, das in den Augen der Meinigen eher riesenhaft erscheint.«
Die leuchtende Kugel kam näher, und das Licht wurde für einen Moment lang heller, wechselte dann aber in ein gedämpftes, den Augen des Betrachters eher wohlgefälliges Weiß-Gelb. Endlich konnte Jorim eine winzige Gestalt mit silbrigen und sehr filigranen Flügeln erkennen. Ein fein geschnittenes Gesicht, das nicht nur alterslos anmutete, sondern auch verbarg, ob es weiblich oder männlich war, strahlte auf sie alle herab. Manchmal konnte Jorim sogar das schnell schlagende Herz des kleinen Wesens durch die helle Haut schimmern sehen.
»Sorgt euch nicht um euren Verfolger«, rief das Licht. Offenbar hatte es bemerkt, wie Jul und Elvor sich ständig umsahen. »Unzählige Brüder und Schwestern nenne ich mein Eigen. Sie alle kümmern sich nur zu gerne um Wanderer, die von unfreundlicher Gesinnung sind.«
»Erinyen sind nicht nur unfreundlich, sie sind gefährlich und tödlich!«, rief Nespur. »Was macht dich so sicher, dass wir uns nicht zu sorgen brauchen?«
»Seht mich an.« Das Wesen breitete seine kleinen Arme aus, während es an Ort und Stelle in der Luft flatterte. »Ich bin ein Irrlicht. Ich leuchte dem Suchenden den Weg, doch nicht immer ist es der Weg, den er sucht. So irrt der Wanderer umher, und meist bemerkt er nicht einmal, dass er schon lange verloren ist. Die Erinya hat den Weg der Verlorenen bereits beschritten, und wird jene, die sie zu töten gedachte, nicht mehr finden.«
»Aha«, entfuhr es Elvor nur, und er starrte weiterhin auf das Irrlicht.
»Ich sehe, ihr seid müde«, erklang die Stimme. »Wollt ihr also ruhen, so folgt mir einfach. Denn verborgen hinter Fels und Baum, befindet sich genügend Raum, wo des Rastlosen Rast unter tief hängendem Ast, in geheimer Stille kann geschehen – vom Aug’ des Feindes ungesehen.«
»Ein Reim, wie schön!«, freute sich Jul, nur Elvor verzog geringschätzig das Gesicht.
»Ihr mögt doch Reime, nicht wahr?« Das Irrlicht begann zu vibrieren, als sei es von unbändiger Freude erfüllt.
»Natürlich!«, riefen Enna und Jul gleichzeitig.
»Aber nur, wenn sie ein anderer vorträgt und ich lauschen und mich in Sicherheit wiegen kann«, murmelte Nespur.
»So folgt mir, ich bring euch Ruh’ und Rast.« Ohne ein weiteres Wort wandte sich das Licht ab und schwebte langsam durch die Nacht.
»Woher sollen wir wissen, dass es uns nicht hereinlegt und in die Irre führt?«, gab Elvor
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