Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
getrost verborgen im Schutz der Bäume«, säuselte plötzlich eine Stimme. Sie klang verlockend, aber auch kühl. »Ich kann eure Angst riechen, kann fühlen, wie die Furcht euch lähmt und eure Eingeweide sich krümmen, als litten sie grausige Schmerzen.«
Alle Halblingsaugen richteten sich langsam auf Nespur. Fährtenauge hatte einen Dolch gezogen, der Zeigefinger seiner freien Hand lag auf seinen Lippen.
»So seid nun bereit für den Tod und erblickt mein Antlitz!«
Zu seinem Entsetzen sah Jorim, wie die Gestalt ganz langsam in die Hocke ging.
Ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. Rasch langte er unter Nespurs Umhang, und ehe es sich der Fährtenleser versah, hatte Jorim die bauchige Flasche in der Hand. Er nahm einen kräftigen Schluck davon und nickte Nespur zu.
Schon griff die Erinyen-Hand nach einem der Äste.
Während ihre Gefährten sich näher an den Stamm drückten, krabbelten Nespur und Jorim auf die Erinya zu. Enna wollte die beiden aufhalten, doch da war es schon zu spät: Mit einem Knarzen bog sich der Ast nach oben. Ein Gesicht umrahmt von endlos langen schwarzen Haaren und mit im Schein der Fackel glühenden Augen starrte ihnen entgegen.
»Dein Antlitz ist hässlich!«, brüllte Nespur, sprang nach vorne und rammte der Erinya seinen Dolch mit aller Kraft in den Fuß. Im selben Moment spuckte Jorim einen Schwall von Nespurs Hochprozentigem zielgenau in die Fackel. Zischend loderten die Flammen auf, verbrannten einen Teil des Lederumhangs und der schwarzen Haare der Erinya und enthüllten dabei jedes Detail ihres erschreckenden Gesichts, das nun zu einer Fratze aus Hass und Zorn verzerrt war.
Ein gellender Schrei durchdrang die Nacht, die Gestalt sprang zurück, jedoch nicht, ohne gleichzeitig ihre Peitsche vorschnellen zu lassen. Geschwind rollte sich Nespur zur Seite und entging den gefährlichen Geißeln um Haaresbreite. »Lauft!«, schrie der Fährtenleser und zog Jorim mit sich.
Schon stoben die Halblinge davon, Enna packte Jul am Arm und zerrte ihn auf die Füße.
Nespur rannte geradewegs in die Dunkelheit und folgte einem Pfad, der nur für kundige Augen als solcher zu erkennen war. Jorim bemerkte lediglich, dass es abwärts ging. Hinter sich vernahm er das wütende Aufheulen der Erinya. Zumindest würde ihr die Verfolgung mit dem verletzten Fuß schwerfallen.
Nespur eilte weiter, wobei er beinahe gegen einen Findling gerannt wäre, stürmte aber daran vorbei. Kurz darauf erreichten sie einen weiteren der Felstürmchen. »Wartet«, flüsterte Nespur. Die Gruppe hielt an und lauschte in den Nebel. Es war still, kein Geräusch war zu hören, nichts zu sehen.
Jorim betrachtete den Turm aus Stein, dann kam ihm ein Einfall. Schnell entledigte er sich seines Umhangs, schlang ihn um die aufeinandergeschichteten Steine und schnitt sich mit seinem Dolch eilig ein paar Haare ab.
»Was tust du da?«, fragte Enna.
»Das hässliche Ding hinters Licht führen.«
»Komm weiter, Jorim. Die Sache eben war gefährlich genug!«, schalt ihn seine Schwester.
»Hab ich dir denn nicht imponiert?« Jorim legte den Kopf schräg und warf Enna ein Lächeln zu. Enna stemmte die Hände in die Hüften, als wollte sie etwas erwidern, doch da deutete Jul hinter sie.
»Das hässliche Ding kommt übrigens näher.«
Die Blicke der anderen folgten Juls ausgestrecktem Finger. Tatsächlich sahen sie weiter oben am Berghang einen glühenden Schein in der Dunkelheit – und er bewegte sich auf sie zu.
Jorim zog schnell die Kapuze seines Umhangs über den Turm und schob hastig einige Haare darunter, so als verhüllten sie ein Gesicht.
»Weiter!«, rief er, als er fertig war.
»Guter Einfall«, lobte ihn Nespur und stürmte los.
Nach wie vor ging es bergab. Sie folgten einer Biegung, dann einer weiteren und plötzlich hörten sie hinter sich einen lauten Peitschenknall. Steine fielen polternd zu Boden und ein zorniges Zischen erfüllte die Nacht – die Erinya war auf die Attrappe hereingefallen! Jorim konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Nespur führte sie weiter hangabwärts, und sie bemühten sich, möglichst geräuschlos zu sein, was ihnen dank ihrer großen, nackten Füße zumeist recht gut gelang. Bald schon erreichten sie einen Wald, und ein Duft von nassem Holz und Harz erfüllte die Luft. Von ihrer Verfolgerin war im Augenblick nichts mehr zu sehen, dennoch waren sie vorsichtig.
»Wo sind wir hier überhaupt?«, fragte Enna nach einer Weile.
»In einem Tal«, antwortete Nespur.
»Du meinst, in
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