Der Kampf der Halblinge: Roman (German Edition)
immer, doch wenigstens verlieh ihm jeder neue Tag ein wenig Hoffnung, denn zumindest hatten sie ein Ziel. Gefangene Halblinge zu befreien, wäre eine gute Tat.
Elgo führte sie ein ganzes Stück durch den Wald nach Süden, ehe er nach Westen abbog. Als die Gruppe schließlich die Deckung der Wälder verließ, ragten die Gipfel der Suravan-Berge im Süden und die steilen Berge der Hohen Wand von Myrador im Südwesten am Horizont auf. Der Aratol allerdings, der höchste Berg von Myrador, war von Wolken verhangen. Noch waren die Gebirge weit weg und lagen mehr im Dunst der Ferne verborgen, als dass sie wirklich gut sichtbar waren.
Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, doch die Gruppe zog unbeirrt ihres Weges, obwohl sie schon bald bis auf die Haut durchnässt war. Der Weg war lang – wie Elgo gesagt hatte: Zwei weitere Nächte mussten sie in den Senken Arbors verbringen.
Erst am Abend des dritten Tages ließ der Regen endlich nach; weit im Westen riss der Himmel auf und gewährte den Reisenden einen Blick auf ein leuchtendes Abendrot am Horizont. Eine Weile lang waren die Wanderer durch ein lang gezogenes Tal marschiert, und als sie an dessen Ende einen Hügel erklommen hatten, hielten sie erstaunt inne. Jul hob die Hand und deutete nach Westen, wo die untergehende Sonne hohe Turmspitzen mit einem rötlichen Schimmer überzog. »Was ist das?«
»Arboron«, erklärte Elgo, der nun deutlich nüchterner und konzentrierter war, »einstige Hauptstadt der Menschen. Nun ist sie besetzt von den Erinyen. Aus diesem Grund werden wir gebührenden Abstand halten.«
»Wie kann man nur solch gigantische Bauten in die Landschaft setzen?«, überlegte Enna laut, während sie weiterliefen.
»Erbaut aus Gier, Stolz und Arroganz«, meinte Nespur. »Weithin sichtbar für jeden. Wie eine Einladung zur Eroberung.«
»Und erobert wurde es«, stimmte Elgo zu.
»Ich möchte dort nicht wohnen«, entgegnete Enna.
»Ich auch nicht.« Jul verzog das Gesicht. »Mir wird schon beim Anblick der Türme aus der Ferne schwindlig.«
»Dann sollten wir uns beeilen, um von hier wegzukommen«, sagte Jorim und lief trotz des langen Marsches zielstrebig voraus. »Auch mir ist da mein behagliches Baumhäuschen lieber.«
So wanderten sie weiter, bis die Dunkelheit hereinbrach, ehe sie endgültig ihr Lager für die Nacht aufschlugen.
Am nächsten Morgen standen sie mit der Dämmerung auf und setzten ihren Weg fort. Die Strapazen der Reise waren ihnen inzwischen anzumerken. Sie sprachen nur noch wenig miteinander, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Während Nespur sich damit begnügte, mit grimmiger Miene einen Fuß vor den anderen zu setzen, wirkte Elgo nachdenklich. Meist starrte er zu Boden und kratzte sich häufig am Kopf. Lediglich wenn er nach einer weiteren Landmarke Ausschau hielt, um sich neu zu orientieren, sah er auf.
»Mir tut alles weh!«, sagte Enna und schaute auf ihre pelzigen Füße hinab.
Jorim nickte nur.
Seine Schwester trat ein wenig näher an ihn heran. »Außerdem mache ich mir Sorgen um Elvor«, flüsterte sie.
»Weswegen denn?«, fragte Jorim kurz angebunden. Er hatte im Augenblick keine Lust, über Elvor zu sprechen.
»Er wirkt sehr verbittert.«
»Der wird schon wieder! Sein Selbstbewusstsein ist sehr empfindlich, wie du weißt.«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Enna. »Ich denke, ihn nimmt das alles sehr viel mehr mit, als er zugeben würde, die Sache mit Bronn, der lange Marsch.«
»Da ergeht es ihm wie uns allen«, erklärte Jorim.
»Hm, vermutlich hast du recht. Aber Bronn war sein Großvater! Das macht einen kleinen Unterschied, weil …«
»Vielleicht sollte sich Elvor ja einfach ein Beispiel an Jul nehmen«, unterbrach Jorim seine Schwester genervt und deutete auf den schmächtigen Halbling, der eilig einige Beeren von einem Strauch pflückte und sie in einem seiner Beutel verschwinden ließ.
Enna lachte leise, doch es war ein erschöpftes Lachen. Auch Jorim seufzte müde und war froh, dass Enna schwieg und sie nicht mehr über Elvor reden mussten. So schleppten sie sich schweigend weiter und erreichten gegen Mittag endlich die Hohe Wand von Myrador: Die massive Felswand ragte bedrohlich vor ihnen auf und bohrte sich in den Himmel. Was die Halblinge allerdings noch mehr faszinierte, waren die Ausläufer dieser Berge. Wie die langen, grauen Füße eines Riesen ragten sie weit ins Land hinein, waren fest verankert in der Erde Arbors, um den Bergen Halt in ihrem Kampf gegen die Winde zu bieten, die in
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