Der Kartograph
denke nicht daran, bei ihm ein gutes Wort für Euch einzulegen.» Matthias Ringmann schaffte es nicht mehr, die Ruhe zu bewahren. Dieses Weib gehörte…
Sie unterbrach seine Gedanken. Ganz langsam schob sie den Schleier zurück, der über ihrem Gesicht lag. Der Mond streichelte diese zarte Haut, die Wangen, den sinnlichen Mund, das Grübchen in ihrem Kinn. Die grünen Augen blickten groß und mit einem undefinierbaren Ausdruck zu ihm auf. «Oh doch, das werdet Ihr», entgegnete sie ruhig.
«Und warum sollte ich das tun?» Er spuckte ihr die Worte förmlich ins Gesicht, zusammen mit seiner ganzen Verachtung.
«Weil ich ihm sonst erzählen werde, dass Ihr mich vergewaltigt habt.»
Er hätte sie am liebsten geschlagen. Doch er hielt sich mühsam zurück. «Das ist eine verdammte Lüge. Das könnt Ihr nicht tun!»
Sie lächelte ihn an. «Warum nicht? Er wird mir glauben und nicht Euch. Selbst wenn Ihr es noch so lange abstreitet.»
Das konnte durchaus sein. Er nahm Zuflucht zu einem letzten Argument. «Ihr könnt es ihm nicht erzählen. Auf der Passstraße über die Vogesen nach Saint-Dié liegt Schnee.»
«Oh, macht Euch nicht lächerlich. Es wird auch wieder Frühling. Also, ich baue auf Euch.»
Ihr Samtkleid raschelte leise unter dem Umhang aus fein gesponnener, kostbarer Wolle, als sie sich umwandte und ging. Es dauerte nicht lange, dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Matthias Ringmann spuckte aus. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
Marie Grüninger lächelte. Sie dachte an die überraschende Begegnung mit Contessina de’ Medici. Warum war sie nur nicht als Mann geboren! Doch sei’s, wie es sei, auch eine Frau konnte eine Gelegenheit beim Schopf ergreifen, wenn sie sich bot. Sie musste ihr einen Brief schreiben. Marie Grüninger war sehr zufrieden mit sich.
8.
«… und so lange segelten wir vor dem Wind Richtung Südsüdwest, bis wir am 64. Tag auf ein unbekanntes Land stießen, das wir aus vielen Gründen, die im Folgenden sichtbar werden, für Festland hielten: dieses Land durchzogen wir über 800 Meilen in einer Richtung, nämlich ein Viertel Südwest gegen West, und wir fanden es dicht bewohnt, und ich sah wunderbare Dinge Gottes und der Natur …
Dieses Land ist sehr anmutig; es ist von zahllosen grünen und gewaltigen Bäumen bewachsen, die nie ihr Laub abwerfen, einen süßen und aromatischen Duft verbreiten und zahllose Früchte hervorbringen, von denen viele wohlschmeckend und gesund sind; das offene Land ist voller Kräuter und Blumen und Wurzeln, die sehr süß und wohlschmeckend sind, so dass ich mich manchmal über den süßen Duft von Kräutern und Blumen, den Geschmack von Früchten und Wurzeln so sehr wunderte, dass ich dachte, in der Nähe des irdischen Paradieses zu sein.»
Martin Waldseemüller schob den Text Vespuccis zur Seite. Es hielt ihn nicht mehr an seinem Platz in der großen Bibliothek von Saint-Dié. Die Frühlingssonne draußen lockte.
Die Bücherei war inzwischen zu seinem Lieblingsort geworden. Er mochte den etwas staubigen, manchmal muffigen Geruch alter Manuskripte, die sich vor ihm zu einem hohen Haufen stapelten. Von den Fenstern des Turmes aus, in dem die Bibliothek untergebracht war, konnte er auf den begrünten Innenhof und auf den Kreuzgang des Stiftes hinunterschauen. Die Bögen des Ganges waren mit großblumigen, geschwungenen Sandsteinornamenten verziert, die grob behauenen Brüstungen der Vorhalle trugen verzierte Säulen, der etwas ungeschickt gebaute Gang – er fand, er ähnelte ein wenig einer Wurst – betonte die seltsame Leichtigkeit des Kreuzgewölbes. Er war schon sehr oft dort entlanggeschlendert, in Gedanken versunken, voller Hoffnung, dass die ersehnten Karten und Dokumente endlich einträfen. Der Herzog von Lothringen hatte sie bereits angekündigt. Sein Blick fiel auf das flechtwerkartige Dekor direkt gegenüber, das die erste Etage unter dem Dach krönte. In Saint-Dié gab es schon lange eine stark befestigte Kirche mit Klosteranlage. Der Komplex war wahrscheinlich eine romanische Gründung. Manche Teile hatten dem Feuer der Kriege und der Überfälle getrotzt. Und der Turm erhob sich noch immer wie ein Bergfried über die hohe Mauer hinweg, die das Areal vor Überfällen schützen sollte.
Heute umfasste das Stiftsgelände zwei Kirchen. Eine kleinere Kapelle direkt gegenüber dem Bibliotheksturm, der Jungfrau gewidmet, die wohl aus dem 12. Jahrhundert stammte: Das Schiff und die Seiten waren dank der Freigebigkeit der Herzöge von
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