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Der Keil des Himmels

Der Keil des Himmels

Titel: Der Keil des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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seine Würde. Je länger es ging, desto mehr gewann man den Eindruck, er rang auch um seinen Verstand.
    Eine beklommene Atmosphäre herrschte in dem Zelt. Als würde der kalte Schweiß an den Zeltbahnen kondensieren.
    Nein, es ist nicht nur die Atmosphäre. Da ist mehr.
    Wenn er zu sich ehrlich war und auf das hörte, was an feinen Saiten in seinem Inneren anklang, dann musste er sagen, dass er etwas spürte, etwas Wirkliches. Eine schwer lastende Aura war mit diesem Mann in das Zelt gekommen, es war, als trüge er sie wie eine dunkle Wolke über seinem Kopf mit sich herum. Er hatte immer wieder in seinem Leben solche Empfindungen verspürt, solch feine Eindrücke empfangen. In den ruhigeren Phasen seines Lebens, wo Zeit für den Luxus der bewussten Reflexion solcher Erfahrungen war, hatte sein Verstand sich besitzergreifend dieser Phänomene angenommen und ihn zwischen vorsichtiger Skepsis und Pragmatismus schwanken lassen. Sie hatten ihm immer gut gedient, diese Intuitionen. Wenn man sie einmal so nennen wollte. Meistens allerdings, in der Hitze der Situation, in der solche Empfindungen auftraten, hatte sein Instinkt sich ungefiltert in sie hineinfallen lassen.
    In dieser Situation jedoch kam etwas anderes hinzu. Man musste sich schon bewusst und willentlich, dieser Empfindung annähern. Denn sie stieß ab. Man musste den eigenen Widerstand überwinden, als kämpfe man gegen eine bleierne Last. Wenn Auric sich auf das einließ, was auf diesem Mann zu lasten schien, spürte er, wie sich etwas Mächtiges in seinem Schädel Raum greifen wollte, etwas, das danach gierte, seinen Geist einfach roh und unbarmherzig zur Seite zu pressen.
    Es war, als wollte dieses schwere Bohren und Wühlen den Than der Suevaren erwürgen.
    Jag schaute den Mann nur die ganze Zeit an und war bleich geworden.
    „Können wir dir helfen?“ Jag kniete vor dem Mann hin, sah ihm in die Augen. „Brauchst du Wasser, etwas zu essen?“
    Der Mann schloss die Augen, ein Ruck ging durch ihn, er nahm ein paar rasselnde Atemzüge, wie einer, der dem Ersticken nahe gewesen war. „Nein, ihr könnt mir nicht helfen. Ich wollte euch helfen“, sagte er dann, noch immer mit rauer, raspelnder Stimme, doch jetzt mit widerstandsloser Geläufigkeit.
    Jag wandte sich Auric zu. „Vielleicht geben wir ihm noch etwas Zeit. Ist schließlich kein Leichtes, was er vorhat zu tun.“
    Am nächsten Morgen fanden sie den Suevaren-Than tot in dem Zelt. Er hatte einen Wasserkrug zerschlagen, ihn vorher in ein Tuch eingewickelt, damit ihn keine der Wachen draußen hörte, und sich dann mit einer scharfkantigen Scherbe selber die Kehle durchgeschnitten. Den in seinem toten Blick eingefrorenen Ausdruck würde Auric so bald nicht wieder aus seinem Gedächtnis bannen können.

    „Wir haben einige unserer Kundschafter, sogar ganze Aufklärungstrupps verloren. Sie sind nicht mehr von dort zurückgekehrt. Und das waren die, die es überhaupt geschafft haben, über diese Linie hinauszukommen. Selbst die Kinvarda, die sich in dieser Wildnis auskennen, schaffen es nicht, sich in das Gebiet jenseits davon durchzuschlagen.“
    Auric war eine ganze Zeit lang bei Jag und seiner Brigade geblieben, denn sie leisteten mit den Kinvarda zum größten Teil die Aufklärungsarbeit und wagten sich am weitesten nach Norden vor. Von Jag und seinen Leuten konnte er also am meisten über das Terrain erfahren, wo aller Wahrscheinlichkeit nach die entscheidenden Kämpfe stattfinden würden.
    Es zeichnete sich immer mehr ab, dass es eine Grenze gab, ein Gebiet über das sie mit aller Aufklärung nicht hinausgelangen konnten.
    Die Kinvarda, die sie befragten, konnten ihnen berichten, wie diese Grenze und die Landschaft jenseits davon aussah. Unterschiedliche Höhenzüge bildeten eine Schwelle zum Norden hin. Im Westen war der mächtige Block des Vennart, eines Mittelgebirges, das bis zu einer Höhe von tausend Metern anstieg. Westlich davon verlief nach Osten hin der Höhenzug des Elsterforsts, der keinen derartig hohen Anstieg hatte, aber ausreichend von schroffen Felsen und Abhängen durchzogen, ansonsten auch unwegsam genug war, um seine Überwindung durch größere Truppenteile problematisch zu machen. Zwischen beiden hindurch floss die Schinnach in einem Flusstal, das auf ihrer Seite nur einen engen Durchgang gewährte, da der Fluss oberhalb dieses Tals von den jähen schroffen Klippen eines Felsenstocks, Bukainan genannt, von seiner ursprünglichen Südostrichtung nach Süden hin abgelenkt

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