Der Keim des Verderbens
stören, Lady«, sagte mein Fahrer, ein beleibter alter Mann, »aber wohin fahren wir?«
»Windsor Farms. Ich sag' Ihnen dann, wo es langgeht«, preßte ich hervor.
»So ein Streit geht einem immer ziemlich an die Nieren, nicht wahr?« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch, wie meine Frau und ich uns auf einem dieser Freiluftfeste gestritten haben, wo man soviel Fisch essen darf, wie man kann. Sie nimmt den Wagen, und ich muß zu Fuß nach Haus gehen. Fünf Meilen - durch eine ganz üble Gegend.«
Er nickte mit dem Kopf und beäugte mich im Rückspiegel. Offenbar glaubte er, Marino und ich hätten einen Ehekrach gehabt.
»Sie sind also mit einem Cop verheiratet?« sagte er dann. »Ich hab' gesehen, wie er angekommen ist. In dieser Stadt gibt es nicht einen zivilen Polizeiwagen, den dieser alte Junge hier nicht sofort erkennt.« Er klopfte sich an die Brust.
Mir platzte der Kopf, und mein Gesicht brannte. Ich lehnte mich im Sitz zurück und schloß die Augen, während er fortfuhr, darüber zu schwadronieren, wie das Leben in Philadelphia früher war und daß er hoffe, dieser Winter werde nicht soviel Schnee bringen. Ich fiel in einen fiebrigen Schlaf. Als ich aufwachte, wußte ich nicht, wo ich war.
»Ma'am. Ma'am. Wir sind da«, sagte mein Chauffeur mit lauter Stimme, um mich zu wecken. »Wohin jetzt?«
Er war gerade in die Canterbury Road eingebogen und hielt an einem Stoppschild.
»Hier entlang und dann rechts auf die Dover«, antwortete ich.
Ich dirigierte ihn an hinter Mauern versteckten Villen im Georgian- und im Tudorstil vorbei zu mir nach Haus. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf auf dieser Fahrt durch das wohlhabendste Viertel der Stadt. Er hielt vor meiner Haustür und glotzte fassungslos auf die Natursteinmauern und das bewaldete Grundstück, das mein Haus umgab. Als ich ausstieg, musterte er mich neugierig.
»Keine Sorge«, sagte er, als ich ihm den Zwanziger reichte und sagte, er könne den Rest behalten. »Mir ist schon alles mögliche untergekommen, aber ich bin verschwiegen wie ein Grab.« Er legte den Finger auf die Lippen und zwinkerte mir zu.
Ich war also die Frau eines reichen Mannes, die eine stürmische Affäre mit einem Detective hatte.
»Das ist ein guter Wahlspruch«, sagte ich hustend.
Mit einem Warnton hieß die Alarmanlage mich willkommen.
Noch nie im Leben war ich so erleichtert gewesen, wieder zu Hause zu sein. So schnell ich konnte, zog ich meine sterilisierten Sachen aus und nahm als erstes eine heiße Dusche.
Ich inhalierte den Dampf und versuchte, das Rasseln aus meinen Lungen zu vertreiben. Als ich mich gerade in einen dicken Frotteebademantel wickelte, klingelte das Telefon. Es war genau vier Uhr nachmittags.
»Dr. Scarpetta?« Fielding war dran.
»Ich bin gerade nach Haus gekommen«, sagte ich.
»Sie hören sich aber gar nicht gut an.«
»Mir geht's auch nicht besonders.«
»Tja, was ich Ihnen zu sagen habe, wird Sie auch nicht gerade aufbauen«, sagte er. »Es gibt möglicherweise zwei weitere Fälle auf Tangier.«
»O nein«, sagte ich.
»Mutter und Tochter. Vierzig Fieber und Ausschlag. Die CDC haben ein Team mit Isolierbetten hingeschickt.«
»Wie geht's Wingo?« fragte ich.
Verdutzt hielt er inne. »Gut. Warum?«
»Er hat bei der Obduktion des Rumpfes assistiert«, erinnerte ich ihn.
»Ach ja. Also, der ist ganz der alte.«
Erleichtert setzte ich mich und schloß die Augen.
»Was passiert mit den Proben, die Sie nach Atlanta gebracht haben?« fragte Fielding.
»Sie machen Tests, hoffe ich, mit den paar Leuten, die sie derzeit auftreiben können.«
»Also wissen wir immer noch nicht, was es ist.«
»Jack, alles deutet auf Pocken hin«, erklärte ich. »Im Augenblick sieht es zumindest so aus.«
»Ich habe noch nie einen Pockenkranken gesehen. Sie?«
»Das war das erste Mal. Höchstens Lepra ist noch schlimmer.
An einer Krankheit zu sterben ist schon übel genug, aber dabei auch noch so entstellt zu werden ist grausam.« Ich mußte wieder husten und hatte großen Durst. »Wir sehen uns morgen früh, und dann überlegen wir, was zu tun ist.«
»Mir klingt das nicht so, als sollten Sie aus dem Haus gehen.«
»Sie haben völlig recht. Aber mir bleibt nichts anderes übrig.«
Ich legte auf und versuchte, Bret Martin bei den CDC anzurufen, aber es ging nur der Anrufbeantworter ran, und er rief mich nicht zurück. Auch für Fujitsubo hinterließ ich eine Nachricht. Da auch er meinen Anruf nicht erwiderte, nahm ich an, daß er wie die
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