Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
Ferrand von Euch wollen?« Er korrigierte das Steuerruder ein wenig, während er sprach, dann ruhten seine wachen Augen schon wieder auf ihr. »Abgesehen von dem Offensichtlichen, meine ich.«
Ariana öffnete den Mund, um zu protestieren, hielt jedoch inne. Durch eine törichte Frage hätte sie nur ihre Naivität unter Beweis gestellt. Natürlich begriff sie, worauf er anspielte, und spürte, wie ihr die Röte schon wieder ins Gesicht stieg. Er würde sie noch stärker in Verlegenheit bringen, wenn sie nicht aufpasste. »Ich weiß nicht, was Monsieur Ferrand gegen mich hat, abgesehen davon, dass es ihm misslungen ist, mir mein Geld zu entwenden.«
»Ferrand ist sich nicht zu schade, andere um ihr Hab und Gut zu erleichtern, aber für gewöhnlich bevorzugt er größere Beute. Es muss ihm bei Euch um etwas anderes gegangen sein.«
»Etwas … anderes?« Mit der freien Hand tastete Ariana unter ihrem Mantel nach der Tasche, von der so viel abhing. »Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein sollte.«
Ein beunruhigender Verdacht regte sich in ihr, noch ehe ihr das letzte Wort über die Lippen gekommen war. Könnte Ferrand vielleicht etwas mit der Gefangennahme ihres Bruders zu tun haben? Wusste er eventuell sogar, wer ihn festhielt? War auch er hinter der Tasche her – und hatte er deshalb den alten James ermordet? Würde er dafür auch ihren Tod in Kauf nehmen?
Der Himmel stehe ihr bei, vielleicht waren Kenricks Dokumente doch von größerem Wert, als sie geahnt hatte – womöglich war ihr Inhalt sogar gefährlich?
»Erzählt mir noch einmal von Eurer Angelegenheit in Rouen«, forderte Braedon sie auf und musterte sie argwöhnisch, als ahne er ihre Gedanken. »Ich möchte mehr über diesen dringenden Besuch bei Eurem Bruder wissen, Ariana. Ist Euer Bruder in Schwierigkeiten?« Seine grauen Augen verengten sich. »Oder seid Ihr der Grund für seine Schwierigkeiten?«
Für einen kurzen Moment erwog Ariana, Braedon vom wahren Grund für ihre Reise nach Rouen zu erzählen. Da James tot war, besaß sie keinen Verbündeten mehr, niemanden, der ihre Sorgen mit ihr teilte oder sie beruhigte, dass letzten Endes alles gut ausgehen würde. Zum ersten Mal seit der Abreise von Clairmont verspürte sie eine nagende Angst, wenn sie an ihr Vorhaben dachte.
Sie war allein.
Aber sie konnte Braedon nicht verraten, worin sie verwickelt war, selbst wenn sie Vertrauen zu ihm gefasst hätte. Kenricks Entführer verlangten, dass sie allein zum Treffpunkt kam – selbst James hatte schließlich eingesehen, dass Ariana sich auf eigene Faust mit den Entführern treffen musste, sonst hätte sie sich nicht an die Vereinbarung gehalten und womöglich Kenricks Leben aufs Spiel gesetzt.
»Es ist so, wie ich es Euch sagte«, sagte sie endlich und fühlte sich unwohl unter seinem forschenden Blick. Um das Zittern ihrer Hände zu verbergen, umklammerte sie die Decke, die sie sich wie einen Umhang um die Schultern zog. »Mein Bruder ist in Rouen. Schon seit mehreren Monaten. Erst kürzlich ließ er mich wissen, dass er mich zu sehen wünscht, also habe ich mich auf den Weg gemacht … «
»Haltet Ihr mich für einen Dummkopf, Madame?«
Ariana erschrak und schluckte schwer. »N…nein, keineswegs.«
»Gut. Denn ich bin kein Narr, ebenso wenig wie Ihr. Hören wir also endlich auf mit dem Katz-und-Maus-Spiel. Was habt Ihr in der Tasche, die Ihr stets mit Euch herumtragt, und was für ein Interesse hat Ferrand daran?«
Sie wich zurück. Den Mund vor Schreck geöffnet brachte sie kein Wort hervor, so erschrocken war sie.
»Ach, kommt schon, Madame. Glaubt Ihr etwa, mir wäre entgangen, dass Ihr sie wie Euren Augapfel hütet?«
Ariana sank das Herz. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können? »Die Tasche enthält nur einige persönliche Sachen aus Clairmont. Nichts, was irgendjemanden interessieren dürfte.«
»Tatsächlich«, sagte er gedehnt, eher fordernd als fragend.
»Tatsächlich«, log sie. Für einen längeren Moment sagte keiner von beiden ein Wort. Schließlich unterbrach sie das unerträgliche Schweigen mit einem gedankenlosen Nachsatz: »Das schwöre ich bei meinem Leben.«
Braedon entgegnete nichts und betrachtete sie still in der kalten Düsterkeit der Nacht. Wieder verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen, und sein vom Mondlicht erhelltes Gesicht verriet Zweifel. »Ihr setzt Euer Leben für eine Tasche aufs Spiel, die angeblich nichts Wertvolles enthält?« Er lachte spöttisch. »Vielleicht seid Ihr doch eine
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