Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Blick. »Nein.«
»Was ist?«
Sie schaute zu Boden und mied beharrlich seinen Blick, als er erneut die Hand nach ihr ausstreckte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zuckte sichtlich zusammen. »Meine Schulter, sie schmerzt«, sagte sie leise, doch diese Ausrede klang selbst in ihren eigenen Ohren nicht überzeugend.
Kenrick war wieder in die Hocke gegangen, und die fiebrige Leidenschaft schwand, als er sich bewusst machte, dass er Haven womöglich wehgetan hatte.
»Das tut mir leid«, sagte er und war um klare Gedanken bemüht, da sein Blut noch immer vor Verlangen aufwallte. »Möchtet Ihr … darf ich Euch irgendetwas gegen den Schmerz holen?«
»Nein.« Sie weigerte sich, ihn anzuschauen. »Ich glaube … ich glaube, Ihr solltet jetzt besser gehen.«
Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen noch feucht von dem leidenschaftlichen Kuss, in dem sie sich für einen Augenblick verloren hatten. In ihren Augen glaubte er innere Qualen zu entdecken, auch wenn Haven fest entschlossen zu sein schien, seinen Blick zu meiden. Sie rieb sich über die Unterarme, als wolle sie seine Berührungen ungeschehen machen.
Empfand sie ihn denn als so abstoßend? Hatte er die Art und Weise, wie sie auf seine Umarmung und den Kuss angesprochen hatte, falsch gedeutet?
Kenrick erhob sich, ohne ein Wort zu sagen.
Vielleicht war es doch gut so, dass es zu diesem Vorfall gekommen war. Gewiss war es besser, dass er jetzt über ihre Gefühle Bescheid wusste und nicht erst später davon erfuhr. An der Tür zu ihrem Gemach hatte er wirklich noch nicht an eine Verführung gedacht – Gott war sein Zeuge, er konnte sich keine Ablenkung von seinen Forschungen leisten! Aber er war auch wieder nicht so töricht zu glauben, er hätte die Gelegenheit nicht zu nutzen versucht. Er begehrte sie noch immer. Das war eine Tatsache, die ihn gleichermaßen verärgerte und verwirrte.
Nun durchquerte er den Raum und zwang sich zur Ruhe.
Fürwahr, er wäre gut beraten, Haven ein für alle Mal aus seinen Gedanken zu streichen, ehe er vollends die Kontrolle über sich verlor.
»Ich ersuche Euch um Verzeihung«, sprach er, als er die Tür öffnete und den Gang betrat. »Dies wird nicht wieder vorkommen.«
Er zog die Tür hinter sich zu und redete sich ein, dass diese Worte nichts als die nüchterne Wahrheit waren.
Nachdem Kenrick gegangen war, saß Haven noch lange auf dem Boden vor dem Kamin. Sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen, wusste nicht einmal, ob sie sich auf ihre Beine verlassen konnte.
»O Gott«, wisperte sie in die Stille des Gemachs hinein. »Was hat all das zu bedeuten?«
In rascher Folge fuhr sie sich mit den Händen über die Unterarme und versuchte, das eigenartige Gefühl abzuschütteln, das sie überkommen hatte. Am ganzen Körper glaubte sie kleine Nadelstiche zu spüren. In ihrem Kopf drehte sich alles, in ihren Ohren nahm sie ein Summen wahr, als fliege ein Bienenschwarm durch ihren Kopf.
Tatsächlich schien ihr ganzer Körper in diesem sonderbaren Gefühlsrausch zu einem neuen, andersartigen Leben zu erwachen.
Es erschreckte sie, wie schnell sich diese Empfindungen ihrer bemächtigt hatten. Sie hatte nicht mehr denken und kaum noch atmen können. Selbst jetzt noch, allein vor dem Kamin, vermochte sie nicht zu erfassen, weshalb dieser Kuss sie so aufgewühlt hatte.
Auch wenn sie in Gedanken gezögert hatte, war der Wunsch in ihr gewachsen, seine Lippen auf ihren zu spüren. Sie hatte sich nach seiner Umarmung gesehnt, nach seinen zärtlichen Liebkosungen.
Und sie musste sich eingestehen, dass sie ihn immer noch begehrte.
Aber dieses übermächtige Gefühl, das sie ganz vereinnahmt hatte, ging über alles hinaus, was sie jemals erlebt hatte, und übertraf jegliche Vorstellung von der menschlichen Begierde.
Dieses neue Gefühl war äußerst gefährlich.
Es war machtvoll und stellte eine unergründliche, kaum einschätzbare Verlockung dar.
Sie betrachtete die feinen goldenen Härchen auf ihren Armen, die sich aufgerichtet hatten, als ihr Leib auf Kenricks Berührung angesprochen hatte. Ihre Haut wirkte durchsichtig und blass unter den Kratzern, die sie von den scharfen Krallen des Huhns davongetragen hatte. Und das zierliche Adergeflecht an ihren hellen Handgelenken schien nun schärfer umrissen zu sein.
Aber da war noch mehr, wie sie zu erkennen glaubte.
Etwas, das sie zuvor schon als eigenartig empfunden hatte und das sie jetzt umso stärker beunruhigte.
Sie löste die Bänder an ihrem Gewand und streifte
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