Der Keller
Pferde. Es heißt, dass er so viele Morde und Vergewaltigungen verübte, dass man irgendwann aufhörte, mitzuzählen. Manche Leute behaupten, dass er und seine Bande mehrere Familien in Arizona abgeschlachtet haben, obwohl andere der Meinung sind, die Apachen wären dafür verantwortlich. Aber das liegt genauso im Dunkeln wie das Schicksal von Lyle und seiner Spießgesellen. Jedenfalls bricht die Spur der Verwüstung, die sie hinter sich herzogen, Anfang 1890 einfach ab. Wir müssen wohl annehmen, dass ihn und seine Mörderbande zu dieser Zeit ein jähes, blutiges Schicksal ereilte.
Das schlechte Karma, das Lyle im Laufe seiner Karriere angesammelt hat, muss sich auf seine Frau und seine Kinder übertragen haben und schließlich im Horrorhaus gelandet sein.
Wie bereits erwähnt war der Name seiner Frau Elisabeth. Lilly und Lyle Thorn. Doch Lyle hat Malcasa Point nie betreten. Wahrscheinlich hatte er schon lange, bevor Lilly und ihre Söhne dort auftauchten, das Zeitliche gesegnet. Die Kinder hießen Sam und Earl, und niemand weiß mit Sicherheit, ob Lyle tatsächlich ihr Vater war.
Wie dem auch sei - Lilly und die beiden Jungen kamen Anfang 1902 in die Stadt. Und sie waren stinkreich - offenbar hatte sich Lyles Gangsterkarriere als äußerst lukrativ erwiesen. Es dauerte nicht lange, und schon war eine ganze Heerschar von Handwerkern dabei, Lillys Traumhaus aus dem Boden zu stampfen.
Danach lebten sie glücklich und zufrieden in ihrem Häuschen -bis zum 2. August 1903. An diesem Tag tauchte die Bestie aus dem Keller auf und lief Amok. Sie schlachtete Lillys gesamte Familie ab. Aber darüber werden Sie bei der Führung noch genug hören, also werde ich jetzt nicht weiter darauf eingehen.
Die nächsten achtundzwanzig Jahre stand das Haus leer. Wegen der grässlichen Morde wollte niemand dort wohnen, bis es eine ge-
wisse Familie Kutch im Jahre 1931 kaufte. Maggie Kutch lebte dort zwei Wochen lang mit ihrem Mann, ihren zwei Töchtern und ihrem kleinen Sohn - bis zu einer regnerischen Nacht, in der ihre gesamte Familie auf grausame Weise von etwas dahingemetzelt wurde, das sie später als »tobsüchtige, bleiche Bestie« beschrieb. Maggie war die einzige Überlebende.
Man hätte denken können, dass Maggie nach dieser Tragödie fluchtartig die Stadt verlassen hätte. Doch weit gefehlt - sie blieb und baute sich direkt gegenüber des alten viktorianischen Gemäuers ein eigenes Haus, eine Festung aus Ziegelstein, die nicht ein einziges Fenster besitzt. Sie werden dieses Bauwerk heute sehen. Da Maggies Tochter bis auf den heutigen Tag dort wohnt, ist das Haus leider nicht Bestandteil der Führung.«
Wenige Reihen vor Owen hob ein blonder Junge die Hand.
»Hast du eine Frage?«
»Ja. Maggies gesamte Familie wurde doch von der Bestie umgebracht. Wie kann sie da eine Tochter haben?«
»Gute Frage. Wie heißt du, Kleiner.«
»Derek.«
»Hi, Derek. Maggie hat ihre Tochter - sie heißt Agnes - erst mehrere Jahre nach diesem schrecklichen Blutbad zur Welt gebracht.«
»Aber ihr Mann wurde doch auch getötet.«
»Stimmt. Doch dann trat ein neuer Mann in Maggies Leben. Und der war der Vater von Agnes.«
»Ach so, verstehe. Vielen Dank.«
»Ich danke dir, Derek. Wo waren wir …« Patty runzelte die Stirn. »Ach ja. Maggie zog also in diesen Ziegelsteinbau. Niemand wusste, was sie dort ausheckte … warum sie dort leben wollte, genau gegenüber des Ortes, an dem die Bestie ihre Familie ermordet hatte. Das Horrorhaus war zu dieser Zeit verlassen und verbarrikadiert. Viele dachten damals, es wäre das Beste, es abzureißen oder niederzubrennen. Die Einwohner hielten es für einen Schandfleck inmitten ihres schönen Städtchens.
Doch es wurde nicht abgerissen. Stattdessen wurden schon bald geheimnisvolle große Kisten angeliefert, die Veranda hinaufgeschleppt und in das Horrorhaus getragen. Hat jemand eine Vermutung, was sich darin befunden haben könnte? Eine Laboreinrichtung für gotteslästerliche Experimente? Oder vielleicht…«
Derek hob die Hand. »Ich weiß, ich weiß!«, platzte er heraus, noch bevor Patty ihn oder jemand anderen aufrufen konnte. »Die Wachsfiguren von den Toten!«
»Richtig. Die Wachsfiguren der Toten. Damals hatte natürlich niemand auch nur den blassesten Schimmer, was wohl in den Kisten sein mochte. Dieses Geheimnis wurde erst im Jahre 1932 gelüftet. Zuerst wurde eine kleine Bude aufgestellt. Dann ein paar Schilder, darunter ein ziemlich großes, auf dem HORRORHAUS stand. Damals kostete
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