Der Keller
dich besser begleiten. Ich kann später immer noch mit diesem Kerl reden.«
»Mir passiert schon nichts.«
»Und wenn doch, stehe ich dir treu zur Seite.«
»Pfadfinderin.«
Kapitel fünfundzwanzig
Sandy - Juli 1992
Als Sandy aus der Hütte kam, wartete Eric bereits auf dem Beifahrersitz. Wie ein hibbeliges Kind, das es kaum erwarten konnte, dass die Reise endlich losging.
Sandy fühlte ehrliches Bedauern.
»Ich würde dich wirklich gern mitnehmen, mein Schatz«, sagte sie, nachdem sie die Fahrertür geöffnet hatte.
Er legte den Kopf schief, sah sie traurig an und wimmerte wie ein kleiner Hund. Bitte, wollte er damit sagen.
Sandy stieg ein, legte einen Arm um ihren Sohn, zog ihn zu sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Weißt du was? Bald machen wir wieder einen Nachtausflug. Vielleicht noch diese Woche. Einverstanden?«
Seufzend nickte er.
Seit geraumer Zeit hatte Sandy ihren Sohn regelmäßig auf nächtliche Ausflüge in die Stadt mitgenommen. Er schien diese Abenteuer zu lieben. Aber tagsüber musste er zu Hause bleiben. Immer. Es war schon nachts viel zu riskant. Am helllichten Tag wäre es Irrsinn gewesen.
»Und jetzt raus mit dir.«
Er winselte.
»Los.« Sie schubste ihn sanft.
Er streckte die Hand nach dem Türgriff aus, dann sah er Sandy noch einmal an.
Die Falten über seinen Augen vertieften sich, als wollte er seine nicht vorhandenen Augenbrauen heben. Eric besaß am ganzen Körper nicht ein einziges Haar. Selbst die Pubertät, die ziemlich früh bei ihm eingetreten war, hatte in dieser Hinsicht keine Spuren hinterlassen. Er war so kahl wie sein Vater.
»Los jetzt. Ich bin in ein paar Stunden wieder da.«
Er nickte, öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen.
»Machst du bitte die Tür hinter dir zu?«
Er warf sie so heftig ins Schloss, dass Sandy zusammenzuckte.
Das war keine Absicht, sagte sie sich. Er ist einfach zu stark und hat noch nicht gelernt, seine Kraft zu kontrollieren.
»Das nächste Mal bitte etwas sanfter, okay?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Du Affe«, sagte sie.
Er grinste.
Sandy ließ den Motor an. »Mach mir keinen Ärger, ja? Und lass dich nicht von Fremden ansprechen.«
Das war ein alter Scherz zwischen ihnen.
Eric nickte grinsend.
Sandy wendete den Pick-up und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie Eric vor der Hütte stehen.
Er sah so einsam und verlassen aus.
Der arme Kleine, dachte Sandy.
Aber wir haben ja keine andere Wahl. Wir tun, was wir können. Und man kann nicht sagen, dass wir es leicht hätten. Zumindest sind wir noch am Leben und frei und haben einander. Und das ist alles, was zählt.
Sie bog um eine Kurve. Sobald sie Eric nicht mehr sehen konnte, vermisste sie ihn.
Sie hasste diese Fahrten in die Stadt.
Ihm wird nichts passieren, sagte sie sich. Wenn ich zu Hause bin, tobt er auch den ganzen Tag im Wald herum. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob ich in der Hütte oder in der Stadt bin.
Doch, es spielt sogar eine sehr große Rolle.
Durch eine Lücke in den Bäumen war ihr kleiner Friedhof zu erkennen. Sie musste zwangsläufig hinsehen. Schon vor langer Zeit hatte sie es aufgegeben, gegen diesen Drang anzukämpfen.
Das Grab selbst lag unter hohem Gebüsch.
Sandy erinnerte sich an einen Tag, an dem die Stelle noch kahl gewesen war. Wie sich der Erdhaufen angefühlt, wie er ausgesehen und gerochen hatte in jener Nacht, als sie Lib, Harry und Slade dort begraben hatte. Sie hatte sich auf den Hügel gesetzt, weil sie so erschöpft gewesen war und nicht mit Sicherheit hatte sagen können, ob Lib und Harry wirklich tot waren.
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Möglicherweise hatten sie noch gelebt, schwer verletzt und ohne Luft, und sich langsam aber sicher zur Oberfläche vorgearbeitet.
Nicht, wenn ich daraufsitze.
Sie hatte auf ihrem Grab gesessen und sich über die drei Personen unter ihr Gedanken gemacht. Ein Sandwich aus nackten Körpern mit Lib in der Mitte. Wie eine Frikadelle.
Nein, nein, nein. Keine Frikadelle. Ein Salamisandwich.
Mit Lib in der Mitte.
Hoffentlich gefällt’s ihr dort unten. Hätte sie mal lieber ihre große Klappe gehalten.
Während sie an dem Gebüsch vorbeifuhr, erinnerte sie sich, wie wütend sie in jener Nacht gewesen war. Lib und sie hatten sich so gut verstanden. Bis Harry aufgetaucht war.
Er hatte alles kaputtgemacht.
Wir hätten eine Familie sein können.
Aber Lib hatte sich ja nicht am Riemen reißen können und sich in eine Sexbesessene verwandelt.
In
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