Der Keller
eine verräterische, nymphomanische Plaudertasche ohne auch nur den kleinsten Funken Loyalität im Leib. Sie hatte ja gar nicht schnell genug alles hinausposaunen können.
Sie hatte diesen Kerl nicht einmal gekannt!
Sandy schüttelte den Kopf.
Das Mädchen, das auf dem Grab gesessen hatte, war ein anderer Mensch gewesen.
Mein Gott, ich war so jung damals. Und so wütend.
Und eifersüchtig.
Lächerlich.
Sie wünschte, sie hätte Lib und Harry nicht umgebracht. Das hatte sie immer bedauert.
Nicht, dass sie sich deswegen schuldig fühlte. Die beiden hatten nur bekommen, was sie verdienten. Sie hatten sich gegen sie gestellt. Und damit früher oder später auch gegen Eric. Wenn sie sie nicht getötet hätte, hätte sie bitter dafür bezahlen müssen.
Aber sie hatte sie gemocht.
Beide.
Es hätte auch anders kommen können. Lib hätte ihre große Schwester und Harry ihr Bruder sein können.
Oder ihr Liebhaber.
Wer weiß?
Sie war nicht ein Mal in den vergangenen zwölf Jahren an ihrem Grab vorbeigekommen, ohne sich an all das zu erinnern.
Ohne sich zu wünschen, sie hätte sie nicht umgebracht.
Ohne sich zu fragen, warum sie sie dazu gezwungen hatten.
Aber es hatte sich ja noch einmal alles zum Guten gewandt.
Naja, nicht unbedingt für die beiden da unten.
Selber schuld. Hätten sie sich eben zusammenreißen müssen.
Besser so, dachte sie. Sonst hätte ich ihnen am Ende noch blind vertraut, und sie hätten Eric und mich um die Ecke gebracht.
Sie war ihnen zuvorgekommen.
Gab es nicht einen militärischen Ausdruck dafür?
Präventivschlag.
Genau.
Denen hab ich’s präventiv ordentlich gegeben. Hab sie erwischt, bevor sie uns erwischen konnten.
Dann tauchte der Küstenhighway vor ihr zwischen den Bäumen auf. Sandy blieb wenige Meter vor einem schweren Eisentor stehen und stieg aus. Sie ging durch Schatten und helles Sonnenlicht. Piniennadeln und Zweige knisterten unter ihren Stiefeln. Der aromatische Geruch des Waldes mischte sich mit dem Duft des Mee-res. Sie konnte die frische Brise durch die süße, schwere Luft des Waldes spüren.
So war es immer, wenn sie das Tor öffnete.
Mein Tor.
Zu Harrys Zeiten hatte es noch kein Tor gegeben. Sandy höchstpersönlich hatte es in der Stadt gekauft und ein paar Leute angeheuert, die es für sie aufgestellt hatten.
Bis jetzt hatte es seine Aufgabe exzellent erfüllt.
Was womöglich auch an dem Schild lag, das sie daran angebracht hatte:
PRIVATBESITZ - KEIN ZUTRITT ZUWIDERHANDLUNG WIRD STRAFRECHTLICH VERFOLGT
VON DER FEUERWAFFE WIRD GEBRAUCH GEMACHT
Sie hatte den Text selbst verfasst. Sie fand, der Teil mit der »Feuerwaffe« wirkte ziemlich bedrohlich.
Der Witz an dem Schild war, dass es überhaupt nicht ihr Privatbesitz war.
Das Grundstück gehörte Harry Matthews.
Er war der Eigentümer. Und er war darauf begraben.
Nachdem sie das Vorhängeschloss abgenommen hatte, zog sie das Tor auf, las ihr Schild und grinste. Dann fuhr sie den Lieferwagen hindurch und sperrte wieder ab. Schließlich erreichte sie den Highway.
Sie wartete ein gewaltiges Wohnmobil ab, und sobald die Straße frei war, trat sie aufs Gas.
Die nächste Ansiedlung hieß Ford Platt und lag etwa fünfzig Meilen die Küste hinauf. Sie schaltete das Radio an und beugte sich zum Handschuhfach. Aus dem halben Dutzend Kassetten suchte sie ihr Lieblingsband von Warren Zevon heraus - mit dem Stück »Roland The Headless Thompson Gunner« darauf. Sie schob die Kassette in den Schlitz der Stereoanlage.
»Auf ein Neues«, murmelte sie.
So sehr sie es auch bereute, Eric zurücklassen zu müssen, und sich um sein Wohlergehen sorgte - manchmal genoss sie einfach die Einsamkeit der Straße.
Freiheit.
Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und lächelte dem Fahrtwind auf ihrem Gesicht entgegen.
Sie hatte den Ellbogen aus dem Fenster gelehnt und steuerte mit einer Hand. Luft blies durch ihre ärmellose weiße Bluse und strich über ihre Brüste. Sie öffnete einige weitere Knöpfe.
Zu ihrer Linken sah sie bis zum Horizont nichts außer dem Ozean. Vor ihr erstreckte sich ebenfalls ein großartiger Ausblick -schroffe Klippen, die sich mit Sandstränden abwechselten, auf die die schaumigen Wellen rollten. Das Wasser war glasklar und glitzerte im Sonnenlicht. Weit im Westen war eine Nebelbank zu erkennen, die sich wie eine Schneedecke auf das Wasser gelegt hatte.
Zur Rechten zogen sich dicht bewaldete Hügel unter einem wolkenlosen Himmel dahin.
Das ist das wahre Leben, dachte sie.
Wenn es
Weitere Kostenlose Bücher