Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
zweite Rabe war näher gehüpft und beäugte intere s siert den Käfig am Boden. Der erste verließ seinen Platz auf der weißen Schulter, um sich zu dem anderen zu g e sellen. Der Barbar sah ihnen milde zu, wie j e mand, der Kinder beim Spielen beobachtet. Als er wieder aufsah, fing er Lucius’ Blick ein. Lucius musste sich eingestehen, dass er von den seltsamen Augen wie gefesselt war. Erst jetzt wurde ihm bewusst, welch seltsame Wendung ihr Gespräch genommen hatte. Im Grunde hätte er es lieber beendet, aber er wollte diesen ungewöhnl i chen Mann einfach noch nicht gehen lassen. Um den Faden noch weiter zu spinnen, sagte er:
„Dann nenn ihn mir doch!“
Das Lächeln in dem ungewöhnlichen Gesicht des Ma n nes vertiefte sich. Er machte einen Schritt auf Lucius zu. Als er ganz dicht vor ihm stand, fragte er leise:
„Willst du das wirklich?“
Lucius fühlte sich schon wieder etwas befangen, trot z dem nickte er kaum sichtbar mit dem Kopf. Ihn schwi n delte, und er schloss die Augen. Im nächsten Moment spürte er, wie kühle Lippen sanft die seinen teilten. Fremde Silben flossen in seinen Mund. Ein Name, wild und gefährlich, breitete sich in seinem Körper aus, ve r teilte sich mit seinem Herzschlag bis in die feinsten Ve r ästelungen seiner Adern. Er meinte, jede Faser seiner Muskeln zu spüren, eine neue, unbekannte Kraft belebte ihn. Die Müdigkeit, die ihn die letzte Zeit gelähmt hatte, fiel von ihm ab, er fühlte sich stärker und freier als je zuvor. Die Berührung ihrer Lippen löste sich und als L u cius wieder zu sich kam, sah er gerade noch, wie der Barbar zwischen den Säulenreihen ve r schwand. Etwas benommen bückte er sich nach dem Käfig, wo es den Raben gelungen sein musste, eine der Tauben zu erw i schen. Ein Blutfleck verschmutzte die weißen Marmo r platten des Säulengangs, ein Vogel lag am Boden des Käfigs, der Kopf fehlte. Er griff in den Käfig und nahm den schlaffen Körper heraus. Achselzuckend warf er ihn in die Dunkelheit.
Agnar ging auf direktem Weg nach Hause und schloss sich in sein Zimmer ein. Er war froh, dass die Villa wi e der einmal fast leer war, so dass er niemandem begegn e te, der ein Wort an ihn richten wollte. Wenn er den Ko n takt zu Lucius behalten wollte, musste er all seine Fähi g keiten einsetzen. Er legte sich auf sein Bett und schloss die Augen. Er ko n nte nicht nachvollziehen, was Lucius tat, noch wo er sich befand, aber er empfand, was dieser spürte und fühlte mit ihm seine Stimmung und seine Gefühle. Agnar lächelte, als er ihn erreicht hatte, er fühlte Lucius’ Verwirrung. Wenn es ihm gelänge, noch ein oder zwei Treffen herbeizuführen, so könnte er die Verbi n dung festigen und sich noch etwas besser in ihn hinei n versetzen. Die ferne Stimmung verdüsterte sich. Agnar ahnte, dass Lucius etwas Unangenehmes wide r fuhr. Er versuchte vorsichtig Einfluss zu nehmen, und tatsäc h lich, Lucius schien sich etwas zu beruhigen. Agnar zog sich zurück. Für den Anfang war das besser und vielverspr e chender als er erwartet hatte. Als er seinen konzentrierten Zustand verließ, fror er erbärmlich. Er würde sich D e cken und Polster ber e itlegen müssen.
Lucius hatte nach ihrer Begegnung den Käfig mit den Tauben dem Priester gegeben. Ohne das eigentliche O p fer abzuwarten, war er zurück nach Hause gegangen. Der Regen hatte aufgehört, so dass er sich Zeit lassen konnte. Er ließ den Vorfall mit dem Barbaren in seiner Erinn e rung ablaufen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Namen des Mannes nicht kannte. Bei ihrem nächsten Zusa m mentreffen würde er danach fragen. Er wunderte sich nicht einmal darüber, wieso er so sicher war, dass es ein weiteres Treffen geben würde. Er wusste nur, dass er ihm nicht ausweichen würde.
Als er zu Hause ankam, nahm er eine Nachricht entg e gen, die bei seinem Pförtner abgegeben wo r den war. In einigen kurzen Zeilen unterrichtete ihn ein Vertrauter, dass Marius bei der Senatsanhörung ebenfalls zugegen sein und natürlich die Gelege n heit für einige bohrende Nachfragen nutzen würde.
Seine gute Laune war ihm schlagartig ve r dorben. Allein der Name seines Wide r sachers provozierte ihn. Er warf das Wachstäfelchen auf den Boden des Eingangs und ging in sein Zimmer, ohne seine Frau zu begrüßen. Als er allein war, überfiel ihn die E r innerung an die seltsame Begegnung noch einmal, an die eindringliche, leise Sprechweise des Mannes, und tatsächlich konnte er sich so klar an die Stimme eri n
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