Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
„Herr, da st e hen Tausende...“
Ein Blick von Lucius brachte ihn zum Schweigen. Der Reiter galoppierte davon, um den Befehl zu überbringen.
Alle Gefangenen vor Atemnae wurden vernichtet, hi n gemetzelt und erschlagen. Ihr Blut verwandelte das Er d reich in stinkenden Schlamm. Ihre Leichen türmten sich zu Bergen. Das fahle Licht der N o vembersonne ließ die Farben des Todes noch kälter aussehen. Den ganzen Tag dauerte das Wüten der Legionäre. Auch die Männer, die sich am A n fang noch im Innern gegen die unerhörte Grausamkeit des Oberbefehlshabers empört hatten, stumpften unter der körperlichen A n strengung ab und sehnten nur noch ein Ende herbei. Je weiter der Tag voranschritt, umso häufiger kam es vor, dass die Gefa n genen durch die kraftloser werdenden Schläge nur b e täubt wurden und erst unter den sich über ihnen au f türmenden Körpern erstickten. Schwerverletzte be t telten um den Gnadenstoß. Wer noch genug Kraft besaß, ve r suchte in einer verzweifelten Anstrengung aus dem Sich t feld der Sieger zu robben. Doch ni e mand entging der Gründlichkeit der römischen Legionäre, die gewohnt waren, die B e fehle ihrer Anführer getreu auszuführen. Erst am Abend dieses Tages war die Au f gabe bewältigt, und die Sieger sahen nur wenig lebendiger aus als die Leichen ihrer erschlagenen Feinde. Blass, erschöpft und beschmutzt von Blut und Ekel vor sich selbst rafften sie sich auf, um ihren Generälen in die befreite Stadt zu fo l gen.
Lucius hatte sich dem Anblick des Massakers nicht en t zogen. Ein Angriff auf Rom kam dem Versuch gleich, die bestehende Ordnung zu vernichten, das war Hoc h verrat. Die Strafe war nur angemessen. Er selbst gab sich mit dieser Begründung zufrieden und versagte sich, sich weiter mit seinen Bewe g gründen zu befassen. Denn wenn er ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, hätte er sich eingestehen müssen, dass er den Gefangenen nicht ve r zeihen konnte, dass sie ihn besiegt ha t ten. Er hasste sie dafür und brannte vor R a che, gierig, die Schuldigen und Zeugen seiner Schmach zu vernichten. Doch wenn er auch noch so rücksichtslos ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, einen weiteren Grund für seine barbarische Gra u samkeit hätte nicht einmal er selbst zu Tage fördern können. Nicht einmal er selbst spürte, dass eine leichte, fast schwebende Stimme ein Opfer für den Gott der Sieger gefordert hatte.
Am nächsten Tag, am vierten November, würden in normalen Jahren die Ludi plebeii beginnen, um das Volk zu erfreuen. Doch Lucius hatte andere Spiele geplant, und zum Auftakt des Reigens hatte er sich an seine gra n diosen Festivitäten erinnert, die einst seine Wahl zum Prätor begleitet hatten. Wieder ließ er Speerwerfer antr e ten, doch statt der Löwen hatte er die gefangenen Samn i ten auf das Marsfeld tre i ben lassen. Dort wurden alle sechstausend Me n schen wie einst die wilden Bestien durch die Speere getötet. Die Leichen der Niedergeme t zelten ließ er in den Tiber werfen, doch statt ins Meer gesc h wemmt zu werden, stauten sie sich zwischen den Pfeilern der Brücken. Tagelang saßen Sklaven am Ufer des Flusses und stocherten mit Stangen zwischen den Toten, um die Knäuel von Le i bern zu aufzulösen.
In Praeneste fügte sich der junge Marius in sein Schicksal und gab sich selbst den Tod.
Doch noch konnte sich eigentlich niemand vorste l len, wie weit Lucius wirklich gehen würde; noch ahnte ni e mand, auch nicht nach all den Gewalttaten unter Cinna, was auf sie zukam und auch Lucius selbst spürte nur vage, was aus seinem Inneren langsam zum Vorschein kam.
23. Kapitel
Der Liebesbeweis
Seit zwei Tagen lebte Lucius nun in dem halbzerstörten Gebäude, das einmal seine Villa gewesen war. Nach se i nem gra n diosen Sieg am Collinischen Tor hätte er sich in den prachtvollsten Palästen der besiegten Stadt einqua r tieren können, doch er zog die Ruine seines ehemal i gen Zuhauses vor. O b wohl kein Möbelstück die Wut der Plünderer unbeschadet überstanden hatte, obwohl in der Osthälfte des Hauses der Dachstuhl vom Brand zerstört war, war das Haus für ihn voll Erinnerungen. Er hatte sich mit der Ausstattung seines Fel d herrnzeltes in der Westhälfte des Hauses eingerichtet, seine Leibwache arrangierte sich mit Planen und Brettern im übrigen G e bäude. Lucius liebte es, Abordnungen des Senates oder der Volksve r sammlung in seinem zerstörten Haus zu empfangen. Zwischen zerschlagenen Truhen und hal b verbrannten Vorhängen stand
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