Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
sich, doch das Haar war nicht kurz geschnitten, so n dern fiel in langen Strähnen über die Schulter. Die Hand des Murmillo hatte sie beiseite gestrichen. Zwischen die Erhebu n gen der obersten Halswirbel presste sich die Klinge eines Dolches. Lucius sah sich selbst auf der Ehre n tribüne in seiner eleganten Toga, ganz von seinen gesellschaftlichen Pflichten a b sorbiert. Doch für einen kurzen beiläufigen Moment hatte sich seine Aufmer k samkeit wieder dem Geschehen in der Arena zugewe n det. Er war gereizt gewesen, hatte um den Erfolg des Spektakels gefürchtet. Er hatte die fragenden Blicke der Menge auf sich gefühlt und hatte den Schiedsrichtern ein Zeichen geben wo l len...
Im nächsten Moment krümmte sich der Kö r per Agnars zusammen. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle, wie von einem Schlag ge t roffen, bäumte sich der Körper auf. Ein roter Schein von Blut übergoss seine Brust. Krampfart i ges Zucken schüttelte ihn, bis er nach langem Kampf leblos zusammenbrach. Lucius wurde von seiner Err e gung übe r wältigt.
Als Lucius wieder zu sich kam, brauchte er einige Seku n den, um sich klar zu werden, wo er sich b e fand. Er zog sich auf das Lager, um nach dem r e glosen Körper Agnars zu tasten. Er suchte mit zi t ternder Hand die weiße Brust und spürte voll Dankbarkeit das Herz schlagen. Entse t zen packte ihn, beinahe wäre es Wirklichkeit gewesen. Beinahe, wenn er damals nur etwas mehr Aufmerksa m keit für die Spiele gehabt hätte, wenn er in jenem M o ment nicht von seinen Gästen abgelenkt worden wäre, hätte er den Menschen getötet, nach dem seine Seele sich verzehrte. Sein Mund berührte die Lippen des Geliebten. Eine schwache Regung, eine leise kaum merkliche An t wort überschwemmte ihn mit einer Woge von Glück.
Nur mühsam und widerstrebend fand Agnar sich wieder zurecht, doch je weiter sich seine Gedanken klärten, u m so reicher und deutl i cher fühlte er in das Bewusstsein von Lucius. Es war, als hätte sich ein graues Meer z u rückgezogen und Länder und Landschaften freigeg e ben, wie sie sein Auge z u vor noch nicht gesehen hatte. Er erkannte eine karge Lan d schaft mit silbrigen Bäumen, eine glühende Wüste, ausgelassene Feste, junge Männer und schöne Frauen. Er sah Heerscharen und Kämpfe ungewissen Ausgangs. Verlustreiche Schlachten, die letz t lich doch mit dem Sieg endeten. Er sah aber auch Blut, Elend und Gnadenlosigkeit. Hier hinter all den Bildern der Erinn e rung entdeckte er eine Zweite Wirklichkeit: Lodernd und doch kalt, weiß wie der Schnee in A g nars Heimat beherrschte sie das Innere des Mannes, dessen Erinnerungen er untersuchte. Es war Hass . Ein L ä cheln öffnete Agnars Lippen. Die Verbindung war wi e der da, fester und breiter als je zuvor. Wie Recht Lucius doch gehabt hatte, sie teilten eine Seele. In der Verein i gung ihrer be i der Wollen würde alles Weitere leicht und wie von selbst sein.
Am nächsten Morgen gab Lucius den Befehl, den Leic h nam des Gaius Marius aus der Gruft zu holen und den halbverwesten Körper in den Fluss zu we r fen. Tausende waren auf den Beinen, um das u n würdige Schauspiel zu erleben. Ohne dass sie weiterer Befehle bedurft hätten, schwärmten die Massen nach der Schändung durch die Straßen und Plätze Roms, um alles zu zerstören, was an den a l ten Feldherrn erinnerte. Sie stießen Statuen von den Sockeln und zertrümmerten sie. Sie zerstörten In n schriften mit Beilen, sie schlugen Münzen mit Hämmern, bis die In n schriften darauf unleserlich waren. Doch mit ihrem Wüten gegen die Zeichen vergangener Macht brachten sich die Bürger Roms erst in Stimmung. Am schlimmsten traf es zunächst die Neubürger, deren Au f treten in den ve r gangenen Jahren beim Plebs ohnehin für Unmut gesorgt hatte. Sehr schnell hatten die Marodeure die reinen Gesten hinter sich gelassen, und sobald sie eines Mitglieds di e ses Standes ansichtig wurden, flogen Steine. Die Unbesorgten, die das ganze immer noch für einen dummen Spuk hielten, wurden schnell eines Bess e ren belehrt und lernten zu laufen, um ihr Leben zu re t ten. Zunächst entkamen sie noch bl u tig, halb ohnmächtig und bleich vor Schrecken. Doch ihre Hilflosigkeit heizte die Menge an. Nach wenigen Tagen wurde der erste Fli e hende von der Menge eingekesselt und zu Tode gepr ü gelt. Nun verloren die Römer alle Hemmungen. Sie br a chen in die Villen und Häuser und schleppten die Me n schen nach draußen, um sie vor den Augen der schaulu s tigen Menge zu
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