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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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jeden Morgen vor der Arbeit. A propos. Er musste da jemanden mit der Zeichnung hinschicken, sehen, ob die Leute Stephen erkannten, ob sie sich erinnerten, ihn am Sonntagnachmittag da gesehen zu haben. Er ging mit Toast und Kaffee ins andere Zimmer und überlegte, ob Skelton wohl schon auf war, ob er ihn anrufen sollte.
    »Na, besonders viel ist das nicht, Charlie. Unser Wort gegen seins. Und wenn er tatsächlich in der Nähe des Hauses war, was beweist das?«
    »Wenn er dort war«, entgegnete Resnick, »warum gibt er es dann nicht zu?«
    »Eine andere Frau vielleicht, eine heimliche Verabredung. Das will er natürlich als Allerletztes vor seiner Frau zugeben.«
    »Ganz Lenton am Sonntagnachmittag beim Ehebruch, Sir? Das ist doch absurd.«
    »Meiner Frau zufolge, die die Welt zunehmend im Licht von Andrea Newmans Romanen sieht, vertreiben sich die meisten Leute genau damit den Sonntagnachmittag.«
    Skelton wusste, wie gefährlich es war, zu früh einen falschen Schritt zu tun. Andererseits wusste er auch, dass die Chancen, das Kind lebend zu finden, immer geringer wurden, je mehr Zeit verstrich – und dass es in gleichem Maß wahrscheinlicher wurde, dass er in die Kritik geriet.
    »Tja, sonst haben wir kaum etwas, wie, Charlie?«
    Langsam schüttelte Resnick den Kopf. »So gut wie gar nichts, Sir.«
    Lynn hatte den Finger noch auf dem Klingelknopf, als Lorraine Morrison ihr öffnete. Was auch immer Lorraine an diesem Morgen mit ihren Haaren versucht hatte, es war nicht gelungen; ein grün-gelbes Rugbytrikot schlotterte lose über den Jeans, an den Füßen hatte sie Turnschuhe.
    »Haben Sie sie gefunden?«
    Lynn schüttelte den Kopf.
    »Aber es gibt was Neues?«
    »Nicht viel.«
    »Wir haben gestern in den Nachrichten die Zeichnung gesehen; in der Zeitung war sie auch. Das muss doch etwas gebracht haben.«
    »Einen Haufen Anrufe, ja. Wir überprüfen sie noch.«
    »Na also.«
    »Lorraine, Leute, die auf solche Beschreibungen oder Aufrufe reagieren, tun das aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen suchen Aufmerksamkeit, andere wollen dem Nachbarn eins auswischen, wieder andere melden sich mit irgendwelchem Blödsinn und lachen sich halb tot. Denen ist es egal, dass jede einzelne Meldung überprüft werden muss.«
    Lorraines Enttäuschung war deutlich zu spüren.
    »Aber an einer Sache könnte vielleicht etwas dran sein. Ich meine, das ist noch kein Grund, sich große Hoffnungen zu machen, wirklich nicht. Aber wir haben da möglicherweise einen ganz brauchbaren Hinweis bekommen. Allerdings wird es sich bestenfalls wohl um einen Zeugen handeln.«
    Lorraine war anzusehen, dass sie nicht wusste, was sie mit diesen Informationen anfangen sollte, und Lynn gestand sich mit schlechtem Gewissen ein, dass sie mit ihren voreiligen Andeutungen bei der jungen Frau nur Erwartungen geweckt und sie sofort wieder gedämpft hatte.
    »Wie geht es Michael?«, fragte sie.
    »Er ist zur Arbeit gefahren. Er hatte das gestern Abend beschlossen, aber heute Morgen wollte er doch nicht. Ich musste ihn förmlich aus dem Haus stoßen. Aber für ihn ist alles besser, als hier herumzuhängen und zu grübeln.«
    Lynn sah auf ihre Uhr. »Wie wär’s dann mit einem schnellen Kaffee? Ich habe gerade noch Zeit.«
    Lorraines Gesicht leuchtete auf, als Lynn die Haustür zudrückte, dann gingen sie zusammen in die Küche.
    »Michaels Bruder hat angerufen, kurz bevor Sie kamen«, berichtete Lorraine. »Ich war froh, dass Michael nicht da war. Geoffrey hat sicher die besten Absichten, aber irgendwie schafft er es, Michael immer nur noch weiter runterzuziehen.« Sie bedeutete Lynn mit einer Geste, sich zu setzen. »Aber vielleicht sind Familien so? Ich weiß es nicht, ich bin ein Einzelkind. Sie?«
    »Ich leider auch«, antwortete Lynn.
    »Es gefällt Ihnen nicht?«
    »Wenn man aufwächst, ist es wahrscheinlich ganz schön. So viel geballte Liebe und Aufmerksamkeit. Aber wenn man älter wird, wenn die Eltern älter werden, kann es schon ein bisschen beunruhigend werden.« Da, dachte sie, rächte es sich dann.
    Als Joan Shepperd an diesem Morgen vom schwachen Geräusch eines Elektrobohrers geweckt wurde, schob sie eine Hand zur anderen Seite des Betts. Ihr Mann war nicht da, aber sein Kopfkissen war noch feucht. Unten im Keller, den Stephen sich als Werkstatt eingerichtet hatte, stand er, nicht über einen Bohrer, sondern über einen Hobel gebeugt, mit dem er Bretter bearbeitete. Auf einem der Borde stand sein altes Kofferradio, auf Radio Two gestellt,

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