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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Spülbecken, drehte den Hahn auf und ließ etwas Wasser herauströpfeln. Emily war – auch Michael hatte diese Formulierung gebraucht, erst gestern Abend, hier, in diesem Raum. Emily war. Glaubte denn einzig die Polizei noch an die Möglichkeit, sie lebend zu finden? Oder hielten auch sie lediglich den Schein aufrecht, weil sie nicht öffentlich eingestehen wollten, was sie im Inneren längst wussten, dass Emily, wo immer sie auch sein mochte, tot war?
    »So kann das nicht weitergehen.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Na, dass du mich nur ignorierst.«
    Stephen stand an seiner Drechselbank im Keller, mit dem Rücken zur Treppe. »Ich ignoriere dich nicht. Ich muss arbeiten.«
    Joan betrachtete seinen fleischigen Nacken und seine breiten gekrümmten Schultern, und sie verachtete ihn. Vieles versprochen und nichts gehalten.
    »Was haben die bei der Polizei gesagt?«
    »Nichts.«
    »Was war dann heute Nachmittag?«
    »Nichts. Es war eine Gegenüberstellung, ich musste mich mit anderen Männern in eine Reihe stellen, weil sie sehen wollten, ob diese Frau mich erkennen würde.«
    »Welche Frau?«
    »Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Ist ja auch egal, das Ganze war sowieso nur ein Missverständnis.«
    »Was soll das heißen?«
    Erst jetzt drehte er sich mit einer ruckartigen Bewegung des Oberkörpers zu ihr um. »Was ich gesagt habe: Sie hat mich nicht erkannt. Konnte sie auch gar nicht. Ich war ja nicht dort.«
    »Wo?«
    Stephen hatte sich wieder abgewandt und beugte sich über seine Drechselbank. »Ich war beim Schwimmen«, sagte er und begann wieder, das Holz zu bearbeiten, ruhig und stetig, bis er seine Frau weggehen und die Tür zufallen hörte. Über frisch gedrechseltes Holz zu streichen hatte etwas ganz Besonderes, diese Glätte, die leichte Wärme, die das Werkzeug hinterlassen hatte – wie Blut unter junger Haut.
    Im »Partridge« war so viel los, dass alle Sitzplätze besetzt waren und die Leute an beiden Bars in Gruppen herumstanden, dazwischen hier und dort ein einsamer Trinker, der sein Glas mit beiden Händen hielt. Vivien hatte den Vorschlag gemacht, sie kam manchmal hierher, in dieses Pub, das Resnick schon lange kannte und mochte, weil es zu den wenigen gehörte, wo nicht gleich jeder Gesprächsversuch von Karaoke oder Discosound erstickt wurde. Sie fanden einen Platz in der Nähe der hinteren Wand zwischen einer Gruppe Pädagogikstudenten, die ihr Spanisch übten – wie bestellte man in Madrid ein Glas Bier und eine Packung Chips mit Käse und Zwiebel? –, und den üblichen Freunden vom Polytechnikum in ihren Oxfam-Mänteln, die über die teuren CD s und das mickrige Stipendium jammerten, von dem man sich nicht mal anständig besaufen könne.
    »Ich habe hier um die Ecke mal unterrichtet«, bemerkte Vivien.
    »Kanadistik?«
    »Nicht direkt. Frauen und Utopie. Oder hieß es Utopien? Ich weiß nicht mehr.«
    Sie trug einen grünen Cordrock und einen rostfarbenen Rollkragenpulli; ein leichter Baumwollmantel hing ihr lose um die Schultern. Sie hatte Resnick, der ihr beinahe auf gut Glück einen trockenen Weißwein bestellt hätte, damit überrascht, dass sie einen Wodka Tonic haben wollte.
    »Aber jetzt arbeiten Sie nicht mehr dort?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin damals nur eingesprungen. Ich habe Teilzeit an der Uni unterrichtet und darauf gewartet, dass jemand versetzt wird oder das Zeitliche segnet.«
    Resnick lächelt. »Ich habe einen Sergeant, der so ähnlich ist.«
    Vivien trank einen Schluck von ihrem Wodka. »Tut mir leid, dass das heute Nachmittag nichts war. Deswegen wollte ich Sie sehen. Um Ihnen zu sagen, dass es mir leidtut.«
    »Das ist nicht nötig.«
    »Sie waren verärgert.«
    »Ich war enttäuscht.«
    »Glauben Sie denn, dass er es war? Ich meine, glauben Sie, dass er für das verantwortlich ist, was dem kleinen Mädchen zugestoßen ist?«
    »Wer?«
    »Nummer drei.«
    Etwas von Resnicks Bier schwappte über den Rand des Glases und tropfte auf den Boden. »Sie haben ihn also doch erkannt.«
    »Nein. Nein, ich habe ihn nicht erkannt. Nicht definitiv. Sonst hätte ich es gesagt.«
    »Was meinten Sie dann, als Sie eben Nummer drei sagten?«
    »Na ja …« Noch ein Schluck Wodka. »… er war dem Mann, den ich gesehen habe, am ähnlichsten, ganz eindeutig.«
    »Dann verstehe ich nicht, warum …«
    »Doch, das verstehen Sie genau. Ich hätte mir absolut sicher sein müssen. Ich hätte bereit sein müssen, vor Gericht auszusagen …«
    »Nicht unbedingt.«
    »Aber

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