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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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dass ein Wort oder ein
Lächeln ihre Ängste zerstreute. Aber ein einziger Blick genügte, um zu wissen,
dass es keine Hoffnung gab. Vor ihr saß ein Mann, der sein Kreuz auf sich
geladen hatte und bereit war, dieses Kreuz zu tragen. Das hagere, ausgemergelte
Gesicht schien ihr noch ernster, als sie es in Erinnerung hatte, der Körper
noch magerer und ausgezehrter von den vielen Jahren der Entbehrung, und das
weiße, schulterlange Haar war so ausgedünnt, dass darunter der schorfige
Schädel zum Vorschein kam, während die schwarzen Augen, die blind waren für das
Farbenspiel der Schöpfung, in eine Welt versunken schienen, zu der andere
Menschen keinen Zugang hatten.
    Â»Dann ist es also wahr?«, flüsterte Ermilina.
    Giovanni Graziano nickte.
    Â»Aber wie ist das möglich? Mit diesem Handel schändet Ihr das
heiligste Amt der Christenheit! Jesus Christus hat die Krämer aus dem Tempel
seines Vaters verjagt! Und Ihr wollt nun um den Tempel selber schachern? Das
wird Gott Euch niemals …«
    Â»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Giovanni Graziano sie mit einem
Seufzer. »Aber ich habe keine andere Wahl. Gott hat es so beschlossen. Ich bin
nur sein Werkzeug.«
    Â»Ihr werdet in der Hölle dafür büßen.«
    Â»Wenn es Gottes Wille ist, will ich dieses Opfer in Demut annehmen.«
    Â»Nein, das ist nicht Gottes Wille! Habt Ihr nicht selbst immer
wieder gesagt, wer sich in die Welt begibt, verstrickt sich in Sünde und
Schuld?«
    Der Einsiedler hob ohnmächtig die Arme. »Vielleicht ist es die
einzige Möglichkeit, meinen Fehler wiedergutzumachen …«
    Â»Was für einen Fehler?«
    Â»Die Entscheidung, Euren Sohn zum Papst zu erheben. Teofilo war noch
ein Kind.«
    Â»Was war daran ein Fehler? Gott selber hat es doch so gewollt! Es
gab Zeichen, in denen er uns seinen Willen kundgegeben hat.«
    Â»Ja, es gab Zeichen. Aber vielleicht haben wir sie falsch gedeutet.
Weil wir es selber so wollten.« Er machte eine Pause, bevor er weitersprach,
die Augen gen Himmel gerichtet. »Das hat mich meine Blindheit geleert. Wir
Menschen können immer nur das in der Welt sehen, was wir darin sehen wollen. So
wie der Maulwurf den Wurm sieht, den er zu seiner Nahrung braucht, trotz seiner
Blindheit.«
    Ermilina verstand das Gleichnis. Aber sie konnte es nicht hinnehmen.
Es war doch nur die halbe Wahrheit!
    Â»Ihr habt mich damals mit Sarah verglichen, der Stammesmutter. Ihr
habt gesagt, dass ich dieses Kind auf Gottes Geheiß empfangen habe. Hier in
diesem Raum ist Euch die Erleuchtung gekommen, im Angesicht der Heiligen
Jungfrau, dass es Teofilos Bestimmung war, die Cathedra zu besteigen. Habt Ihr
das alles vergessen?«
    Â»Nein, das habe ich nicht.« Giovanni Graziano schüttelte den Kopf.
»Aber vielleicht ist das ja Teofilos Fluch: dass wir immer glaubten, er sei ein
Erwählter. Vielleicht ist er nur darum von Gott abgefallen, weil er unter der
Last, sein Stellvertreter zu sein, zusammenbrach. Vielleicht hat er nur darum
dem Licht den Rücken gekehrt und sich der Finsternis zugewandt …«
    Der Einsiedler verstummte, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Plötzlich fühlte Ermilina sich ganz elend und schwach. Alles woran sie
geglaubt, alles wofür sie gelebt hatte – sollten das nur Hirngespinste gewesen
sein?
    Â»Aber … aber«, stammelte sie, »Teofilo gehört doch Gott, nicht einem
Weib!«
    Â»Das habe ich auch geglaubt, aus tiefstem Herzen! Aber wo hat Gott
sich denn gezeigt, in all den Jahren? Teofilos Pontifikat hat nur Schrecken und
Leid gebracht. Rom ist eine Lasterhöhle, die Heilige Stadt ein Sündenpfuhl, in
dem die Menschen falsche Götzen anbeten und die Unzucht sumpfige Blüten treibt.
Kinder verhungern, ihre Mütter verkaufen sich für ein Stück Brot, ihre Väter
werden zu Räubern und Mördern. Glaubt Ihr wirklich, dies sei der Wille des
Herrn?«
    Ermilina versuchte, dem schwarzen Blick des Heiligen standzuhalten.
Doch da sie keine Antwort wusste auf seine Frage, beugte sie schließlich ihr
Haupt.
    Â»Seht Ihr?« Giovanni Graziano stieß einen Seufzer aus. »Jetzt bleibt
mir nichts anderes übrig, als den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben und mich
selber auf jenen Thron zu setzen, auf den ich einst Euren Sohn gehoben habe.«
    5
    Die Wiederinstandsetzung des Armenhauses war schon seit Wochen
im Gange, und doch gab es immer

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