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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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in dieser
dunklen Kirche, er wollte in ein Hurenhaus! Wenn Gott ihn dazu verdammt hatte,
ein Ungeheuer zu sein, wollte er wie ein Ungeheuer leben!
    Statt sich zu bekreuzigen, spie er auf den Altar. Doch als er sich
abwandte, um die Basilika zu verlassen, sah er in der Dunkelheit plötzlich das
Gesicht einer Frau – Chiara. Aus den Zügen der Muttergottes, die das Sterben
ihres Sohnes beweinte, löste ihr Gesicht sich ab, eine im Raum schwebende Maske
aus Tausend und Abertausend flirrenden Lichtpartikeln. Tränen rannen aus ihren
Augen, und während er ihren Blick auf sich spürte, hörte er ihre Stimme.
    Â»Kehr um, mein Geliebter. Um deiner Seele willen.«
    Teofilo rieb sich die Augen. Was war das für ein Gaukelspiel der
Sinne? Er hatte doch gar nichts getrunken! Unzählige Male hatte er das
Altarbild gesehen, hatte davor gebetet und die Messe zelebriert, ohne dass
etwas geschehen war. Und jetzt, im Augenblick seiner Verzweiflung, wurde ihm
hier ein Wunder zuteil? Er versuchte mit den Händen das flirrende Licht zu
zerteilen, doch Chiaras Gesicht blieb.
    Â»Kehr um, mein Geliebter. Bevor es zu spät ist.«
    Wie damals, als sein Pate die mit Wasser gefüllte Schweinsblase
hatte bergauf rollen lassen, auf dem Weg zu der Einsiedelei, starrte er auf die
Erscheinung, und seine Augen sahen, was sein Verstand nicht zu fassen
vermochte. Überwältigt sank er auf die Knie. Und während er seine Hände
faltete, formten sich seine Lippen zum Gebet, und ganz von allein, ohne sein
Zutun, quollen aus seiner Seele Worte, die er seit einer Ewigkeit nur noch vor
sich hin gebrabbelt hatte, in Ausübung seines fremden, falschen Amtes, ohne
innere Beteiligung, wie ein Kind, das nicht weiß, was es sagt.
    Â»Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber
sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund …«
    3
    Â»Niemals!«, sagte Chiara und rückte ihr Kopftuch zurecht. »Niemals
werde ich das tun!«
    Â»Hab keine Angst, mein Kind«, erwiderte ihr Vater. »Ich werde dich
zu nichts drängen, was du nicht willst. Allerdings solltest du vielleicht
bedenken …«
    Â» NIEMALS , habe ich gesagt! Wie könnt Ihr
so etwas überhaupt nur vorschlagen? Domenico ist kaum unter der Erde – und ich
soll heiraten? Noch dazu seinen Mörder? Glaubt Ihr, ich hätte einen Stein in
der Brust?«
    Â»Ich weiß, was du für Domenico empfindest, und es ehrt dich sehr,
dass du sein Andenken …«
    Â»Genug! Ich will nichts mehr davon hören! Ein für alle Mal!«
    Um das Gespräch zu beenden, nahm sie die Stickerei wieder auf, an
der sie gesessen hatte, als ihr Vater zu ihr in das Kabinett gekommen war. Vor
Erregung war ihr speiübel, und ihre Hand zitterte so sehr, dass sie kaum die
Nadel führen konnte.
    Â»Ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte ihr Vater, »die Vorstellung
muss fürchterlich für dich sein. Und wenn ich die Wahl hätte, ich würde dir die
Entscheidung gerne ersparen, das musst du mir glauben. Doch lassen wir einmal
die Gefühle beiseite …«
    Â»Ich soll meine Gefühle beiseite lassen? Wenn es um Liebe geht! Wie
stellt Ihr Euch das vor? – Verflixt! Jetzt habe ich mich gestochen!«
    Chiara warf die Stickerei zurück auf den Nähtisch und leckte ihre
Wunde. Ihr Vater wog den Kopf und ließ die Spitzen seines Kinnbarts durch die
Finger gleiten, wie er es sonst oft beim Trictrac-Spielen tat, wenn Chiara ihn
angriff und er nachdenken musste, um eine Niederlage abzuwenden.
    Â»Eine Ehe, mein Kind, hat nichts mit Liebe zu tun«, sagte er
schließlich. »Eine Ehe ist eine Sache der Vernunft.«
    Â»Das behauptet ausgerechnet Ihr?«, erwiderte Chiara. »Ich war damals
noch ganz klein, aber ich kann mich noch gut erinnern, wie Ihr unter diesem
Bild gesessen und geweint habt.« Sie deutete mit dem Kopf auf das Porträt ihrer
Mutter an der Wand. »Sie war schon viele Jahre tot, doch Ihr habt immer noch um
sie getrauert. Weil Ihr sie liebtet und sie nicht vergessen konntet. Aber von
mir verlangt Ihr, dass ich nach so wenigen Wochen …«
    Statt den Satz zu Ende zu sprechen, blickte sie ihren Vater an. Er
stand direkt neben dem unfertigen Bildnis seiner Frau, das einzige Bild, das es
von ihr gab: eine wunderschöne Frau mit einem halben Gesicht.
    Â»Ja, deine Mutter und ich, wir haben uns geliebt. Genauso wie
Domenico und du.«
    Mit einem

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